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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Schulter kackt. Die schwimmenden Vögel, südamerikanische Humboldt-Pinguine, sind hinter Glas in ihrem eigenen salzwasserhaltigen Becken, sodass Sie und die Tiere sich gegenseitig unter oder über Wasser ungestört betrachten können.
    Den größten, weil exotischen Spaß gibt es im Tropical Islands. Wetterunabhängig amüsieren Sie sich wie in den Tropen. Regenwald, Strände, Bambushütten und Lagunen unter dem Dach einer Cargo Halle wurden 2004 eingeweiht. Die Halle ist mit sechsundsechzigtausend Quadratmetern die größte freitragende Halle weltweit. Unter solchen Superlativen machen es die Brandenburger heutzutage nicht mehr (siehe Schiffshebewerk Niederfinow, Flughafen, Niederlausitzer Seenlandschaft). Die Halle ist so groß, dass man mit einem Fesselluftballon fünfundfünfzig Meter in die Höhe steigen und sich das Badespektakel aus der Hallenluft von oben ansehen kann.
    Diese Luftreise ist die einzige Verbindung zur ursprünglichen Nutzungsidee. In den Neunzigerjahren sollte aus der stützenlosen Halle eine Zeppelingarage und Werfthalle für Luftschiffe werden, speziell für ein noch zu entwickelndes Schiff, das bis zu hundertsechzig Tonnen Lasten in die Luft heben sollte, auch das ein Superlativ. Die Cargo Lifter AG aus Wiesbaden nannte ihre Halle Aerium und verkündete, dass man zur Not auch den Eifelturm darin unterbringen könne, falls jemand das Bedürfnis habe, ihn nach Brandenburg zu schaffen. Man müsse ihn nur hinlegen. Solche gedanklichen Spielereien schienen in der euphorischen Nachwendezeit nicht gigantoman, sondern völlig realistisch. Schließlich wurde nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa mit der deutschen Wiedervereinigung mitvereinigt, die Verfügbarkeit von Feldern und Fördermitteln schien grenzenlos zu sein und einem expansiven Denken nichts im Weg zu stehen. Die AG kassierte vierzig Millionen Euro Steuergelder vom Land Brandenburg, ging 2000 an die Börse und zwei Jahre später insolvent. Ein ähnliches Schicksal ereilte übrigens ein weiteres Großprojekt der Region. Auch die geplante Chipfabrik in Frankfurt/Oder in der Nachfolge eines Halbleiterwerks, für die schon ein arabischer Großinvestor gefunden war, scheiterte. Und der Eurospeedway Lausitz meldete zwei Jahre nach seiner Eröffnung ebenfalls Insolvenz an, hält sich seither aber mit wechselnden Betreibern wacker über Wasser.
    Die Cargo Halle nördlich des Spreewalds kaufte der malaiische Konzern Tanjong. Die Aufsichtsräte kombinierten geschickt das Badebedürfnis der Brandenburger mit der Sehnsucht nach dem Süden, fingen den Urlaubsfliegern nach Mallorca oder Fuerteventura Kunden weg und beförderten Brandenburg ins Zeitalter von Postmoderne und Globalisierung: In einer Zeppelinwerft auf brandenburgischem Boden am Strand der Südsee zu liegen, im gechlorten Wasser einer Illusion von Lagune unter einem Leinwandhimmel zu baden, durch seltene tropische Gewächse zu wandeln, die inmitten von Kiefern und Apfelbäumen wachsen, in echten Safarizelten unter dem Dach eines riesigen Cargozeltes im »Regenwald-Camp« zu übernachten, das auf herbeigeschafftem märkischen Sand auf dem Boden der Werfthalle unter malaiischer Anleitung errichtet wurde und Dschungel vorgaukelt, sich malaiische Drinks an der balinesischen Lagune von deutschen Kellnern im Thai-Restaurant servieren zu lassen, erinnert nicht nur an die Truman-Show. Nach einer Weile in diesem Illusionskunstwerk beginnt man sich zu fragen, ob das nicht der wahrste Ausdruck der Welt ist, wie wir sie in den Neunzigerjahren erlebten: die Gleichzeitigkeit und die atemlose Vermischung von Stilen, Gebräuchen, Herkünften, von Mentalitäten und Wetterlagen. Dieser Effekt wird bloß durch die »echte« Sonne am Strand der Südsee durchkreuzt: nur, wenns in Brandenburg schön ist, wird man auch in den Tropen braun.
    Die Sehnsucht nach Leichtigkeit und der Wunsch nach einem gesunden, besseren Leben sind schon einige Jahrhunderte alt. In der ältesten Kurstadt Bad Freienwalde wurden im 17. Jahrhundert heilsame Quellen entdeckt. Der Große Kurfürst (Wilhelm I.) ließ dort seine Gicht behandeln, nachdem sein Lieblingsalchimist Johannes Kunckel das Wasser auf Tauglichkeit geprüft hatte. Die Gattin Friedrich Willhems II., Friederike Luise, ebenfalls auf der Suche nach Entschlackung und Schönheit, verbrachte seit 1790 fast jeden Sommer in einer Villa in den bewaldeten Bergen des Oberbarnim. Später wohnte in derselben Villa Walther Rathenau, ehe er 1922 ermordet wurde. In Bad

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