Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
und wenn der Boden unterm Handtuch plötzlich absackt, ziehen sie weiter zum nächsten Strand. Der Boden an den aufgeschütteten Ufern hat sich noch nicht ausreichend verdichtet. Rutschungen entstehen, die die Strände vorübergehend zu Sperrgebieten machen. Aber seit der Internationalen Bauausstellung, die von 2000 bis 2010 hier stattfand, liegt der Tagebausee im Trend.
    Architekten und Landschaftsgestalter können sich an einer Leere beweisen, die viel Spielraum lässt. Auf den weiten Flächen eines Niemandslands, in dem nichts mehr zerstört, alles nur besser werden kann, weil die Zerstörung der Vergangenheit angehört, sind der Gestaltung kaum Grenzen gesetzt. Und man kann sich gut fühlen dabei. Vor der Hässlichkeit zerfurchter Erde wirkt jede Kunstanstrengung schön. Am noch wasserlosen Kanal, der einmal zwei Seen verbinden wird, ragt ein brauner Aussichtsturm auf. Seine Form spielt auf einen rostigen Nagel an. Eine Seebrücke, die aus einem ausrangierten und aufgemöbelten Tagebauabsetzer entstand, führt am Rand der ehemaligen Tagebaugrube Meuro hinein in einen künftigen See. Noch endet die Brücke über einer Wüste aus Unkraut, Gras und Sand. Wasser ist nur in der Ferne zu sehen. Aber es gibt schon die Seeterrassen am Kippenrand mit Café und Bühne, es gibt Konzerte und Klappstühle, auf denen man mit einem Caipi in der Sonne sitzen und sich die Zukunft ausmalen kann. In dieser Zukunft wohnen Wasserbegeisterte in schwimmenden Häusern, und Segler gleiten durch einen Kanaltunnel von sieben Metern Höhe unter der Schwarzen Elster hindurch, vom Senftenberger in den Geierswalder See.
    Der Bergbauingenieur steuerte den Jeep an einer Wasseraufbereitungsanlage vorbei. Sand lag aufgeschüttet zu weißgrauen Rippen, mehrere Quadratkilometer, die zur Übergabe an die Landwirtschaft vorbereitet waren. Im nächsten Frühjahr würden Pflanzen zur Entsäuerung in diesen Boden eingebracht werden. Dann werde gepflügt, erklärte der Bergbauingenieur, und neu gepflanzt und wieder werde ein Jahr vergehen. Und mit der Zeit würden auf diesen Rippen Sonnenblumen oder Getreide wachsen.
    Schließlich fanden wir sogar den Anschluss an die neu verlegte Straße. Jenseits der Straße lagert noch mehr Lausitzer Flöz. Eine endlose, überwucherte Fläche. Der Antrag, dort ebenfalls die Kohle abzubauen, läuft. Noch sei nicht klar, ob dem Antrag stattgegeben werde, die Politik ändere ständig ihre Meinung, so der Ingenieur. Sicher sei nur, dass der Tagebau das genehmigte Gebiet noch mindestens zehn Jahre lang durchwandern werde. »Schließlich will ich hier noch ’n bissel murkeln«, sagte er, als wir in der »Kaue« die Helme zurück an die Haken hängten. Er hatte dieses begeisterte Glitzern im Blick und ich staubbraune Hände.
Spreewald
    Im gigantischen Niemandsland der Braunkohle liegt ein kultivierter Urwald. Hier ist alles grün und klein; die Häuser, die sich in die Wiesen hineindrücken, die Wasserarme, die sich, an den Häusern vorbei, unter Straßen und Stegen in die Felder schieben, die Bäume, die dickstämmig und flach Halt auf dem sumpfigen Boden suchen. Auch der Blick wird immer an der nächsten Biegung wieder eingefangen vom urwüchsigen Ufergebüsch. Das UNESCO Biosphärenreservat umfasst nicht mehr als vierhundertachtzig Quadratkilometer. Aber sein Grün steht so kontrastreich vorm Kohlebraun der Umgebung, der Staub wird vom Blätterdunst so vollständig geschluckt, dass der Spreewald wie ein gewaltiger Dschungel wirkt.
    Im Süden öffnet sich zunächst der Oberspreewald. Wobei »öffnen« eine nicht ganz korrekte Beschreibung ist. Der Spreewald schließt sich immer. Er schließt sich dicht um die Menschen. Er liegt so eng an, dass man an keiner Stelle weit sieht. Wer in ihn eingetaucht ist, dem kommt er – von innen betrachtet – endlos vor. In den Verzweigungen von Wegen und Wassern verliert man Anfang und Ende schnell aus dem Blick. Die Wege führen durch Feuchtgründe, an schmalen Fließen, an Baumgruppen aus Weiden und Birken vorbei. Heuschober stehen auf den Wiesen. Das gemähte Gras ist dick aufgeschichtet. Wie schwere Reifröcke hängen die Graslasten zum Trocknen über dem Boden, von der feuchten Erde weit genug entfernt. Ein Stab ragt aus der Spitze des Schobers wie der Oberkörper einer dünnen Gestalt. Bauernhöfe tauchen hinter Buschwerk auf, verschwinden wieder. Sie sind verlebt, manchmal völlig zugewachsen. Noch vor wenigen Jahren waren viele der Höfe nur mit dem Kahn zu erreichen.

Weitere Kostenlose Bücher