Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
hatten, vier große Braunkohleflöze entstehen zu lassen. Das oberste Flöz, dicht an der Erdoberfläche, war bereits Ende des 19. Jahrhunderts abgebaut worden.
Das zweite Lausitzer Flöz liegt hundertzwanzig Meter in der Tiefe. Seit den Sechzigerjahren arbeiten sich die Bagger an der Endmoräne entlang; Geschiebemergel, den das skandinavische Eis zurückließ, nachdem es in einer Dicke von zweitausend Metern hier stehen geblieben war. Sind der Geschiebemergel und der locker darauf liegende Sand abgeräumt von Schaufelradbaggern, deren Schaufelräder schon mal siebzehn Meter Durchmesser haben, landet beides auf einem Transportband. Das Transportband rast über eine Trasse, die den Tagebau umrundet. Die Trasse endet dort, wo der Tagebau vor Jahrzehnten begann. Hier ist die Kohle bereits abgebaut. In die aufgerissenen Schluchten wird der neue Abraum eingefüllt. Das geschieht nach Plan. Nicht auf jeder Kippe entsteht der gleiche Boden. Der Abraum wird unterschiedlich gemischt, abhängig von dem, was später wachsen soll. Geschiebemergel aus tieferen Schichten kann beispielsweise bei der Neuverschüttung näher an der Erdoberfläche aufgetragen werden, um günstige Bedingungen für einen Mischwald zu schaffen. Für den Wolkenberg, ein Weinberg, der 2015 den ersten Ertrag bringen soll, musste ebenfalls eine spezielle Bodenmischung her. Die Kippe wurde in einer Höhe und mit einer Schräglage aufgeschüttet, die für den Anbau des Kernlings oder des Cabernet Dorsa geeignet sind. Auch alte Rebstöcke wie die Traube Madelaine, die es auf dem ursprünglichen Weinberg gab, werden wieder gepflanzt. Das junge Grün der Reben hebt sich irreal von den Elefantenhäuten des Hinterlands ab; dort, wo die Schüttung des Abraums noch als gefaltete graue Wand aufragt.
Von der freigelegten Kohle werden heute sechzig Millionen Tonnen pro Jahr abgebaut. Zu DDR-Zeiten waren es zweihundert Millionen Tonnen. Die geringere Menge und schärfere Umweltbestimmungen haben den Kohlestaubgehalt der Luft verringert. Ich konnte sogar, als ich tief unten vor der schwarzen Kohlewand stand, noch die Sonne sehen. Das Flöz zieht sich wie eine dunkle Faser durch das Graubraun der Erde. Die Faser ist fünfzehn bis zwanzig Meter dick, die Qualität der Kohle unterschiedlich. Die schwefelärmste, also die beste Kohle lagert oben. Sie wird zu Briketts verarbeitet. Dann kommt ein Streifen nutzlosen Kohlensands, der gleich wieder als Abraum verschüttet wird. Ganz unten lagert schwefelbelastete, minderwertige Kohle, die auf Güterzügen in die Kraftwerke gefahren wird, beispielsweise in jenes in »Schwarze Pumpe«.
Der Bergbauingenieur hob ein Stück Kohlefaser auf. Es sah aus wie poröse, halb verbrannte Baumrinde. Ich musste husten. Wenige Meter neben uns gruben sich Kohlebagger in die Wand, hinterließen halbkreisförmige Ausschabungen. Über uns am Himmel raste der Sand über die sechshundert Meter lange Förderbrücke eines Abraumbaggers. Das stählerne Ungetüm bewegte sich auf Rädern und Gleisen, kam aber, weil es am Tag zuvor geregnet hatte, nur langsam voran. Unter den Gleisen war der Boden schwammig geworden und gab dem massiven Gewicht nach. Immer wieder mussten Faschinen, zu Bündeln geschnürte junge Kiefernbäume, als Polster unter das Gleisbett geschoben werden. Auf sieben Kubikmeter Abraum kommt eine Tonne Kohle, erklärte mir der Bergbauingenieur, ein Spremberger, der die Kohle und den Tagebau liebt, der leidenschaftlich mit mir immer tiefer in das braune Flimmern des Lichts vordringen wollte. Er war mit dem Bergbau groß geworden, er hatte ihn im Wandel der Zeiten erlebt. Mit den Schweden, die sich zur Jahrtausendwende in vier Tagebaue eingekauft haben, hat er so seine Probleme. »Die wollen immer Händchen halten und alles ausdiskutieren«, sagte er. »Im Tagebau kannst du aber nicht immer bloß diskutieren, da musste auch mal sagen, wo’s langgeht.« Flache Hierarchie, das schwedische Prinzip für demokratisches Management, führt bei den achthundert, an straffe Leitung gewöhnten Tagebauern regelmäßig zu Missverständnissen. Der Energieriese Vattenfall hat wiederum ganz andere Probleme. Es ist nicht leicht, das Image vom sauberen Energieproduzenten mit der »schmutzigen Braunkohle« in Einklang zu bringen.
Das Dorf meiner Oma lag in einer Gegend, die noch heute von funkionablen Bergarbeiterwohnungen in sandfarbenen, hoch aufgebockten Häusern mit spitzen Ziergiebeln und kurz geschürzten Dächern dominiert wird. In die hölzernen
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