Gebrauchsanweisung für Südengland
…
Bleibt noch von einem Mann zu berichten, den keine finanzielle
Not oder Krankheit veranlaßt hat, für sich neue Wege zu finden, um das Überleben zu sichern. Bill Poirrier ist schlicht und ergreifend ein Lebenskünstler, dem es gelungen ist, sich fast alle Träume zu erfüllen. Wie gesagt: fast alle. Denn zwei Punkte hat er noch auf seiner Wunschliste. Erstens hätte er gerne eine Hütte im Wald, nicht einfach so, sondern um dort zu leben. Ohne Strom, ohne Heizung, ohne Telefon, ohne Abhängigkeiten. Allerdings, und hier kommt sein zweiter Wunsch, würde er diese fragwürdige Idylle gerne mit einer Frau teilen. Doch bis jetzt beschweren sich seine diversen Freundinnen schon in seinem aus festen Mauern gebauten Haus über Feuchtigkeit und Wärmemangel. Einen Fernseher anzuschaffen, lehnt er vehement ab.
In Anbetracht der Tatsache, daß es ihm nicht gelingt, eine Frau zum permanenten Verweilen in diesem direkt am Washford River gelegenen und eigentlich recht idyllischen Häuschen im Dunstkreis der Zivilisation zu überreden, wird er nach der richtigen Partnerin für den Lebensabend als Einsiedler wohl noch eine Weile suchen müssen. Es sollte zu denken geben, daß seine letzte Freundin ihr Heil bei einem Guru suchte.
Bills Kindheit begann in London. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er wie viele andere Londoner Kinder aufs Land evakuiert. Ihn verschlug es für ein paar Jahre nach Cornwall, wo er bei einer Farmerfamilie das Landleben kennenlernte, bevor er wieder zurück in die Stadt kam. Seine Eltern fanden, daß eine Ausbildung zum Banker eine vielversprechende Nachkriegszukunft bot. Aber Bill hatte dazu keine rechte Lust, schwang sich aufs Fahrrad und fuhr einfach so nach Somerset, wo er einen Job auf einer Farm annahm.
Es folgten ein paar Jahre, in denen er sich in der Weltgeschichte herumtrieb, und dann die Einberufung zur Armee. 1956 fand sich Bill als Paratrooper mitten in der Suez- Krise wieder. Schließlich verschlug es ihn nach Dänemark, da dieses Land einen besonderen Ruf im pig management hatte und er sich während seiner Farmzeit auf Schweinezucht und -pflege spezialisiert hatte. Er heiratete eine Dänin und arbeitete auf verschiedenen Bauernhöfen. Schließlich zog es ihn aber wieder zurück auf Farmen im Westen Englands.
Doch mit 30 kam er zu dem Schluß, daß ihm die graduierliche Umwandlung der Bauernhöfe in Industriebetriebe nicht behagte. Von dieser Art Fortschritt, wie die damalige Agrarpolitik in jenen Jahren (und bis vor noch gar nicht so langer Zeit) diese Entwicklung verkaufen wollte, hielt er überhaupt nichts. Zuviel Chemie war nach Bills Meinung auf den Höfen im Einsatz, und die hatte in der Landwirtschaft nichts verloren.
Da er aber bereits sein Häuschen am Washford River hatte und außer einer Ehefrau auch noch drei Kinder ernähren mußte, brauchte er einen Job, der gutes Geld brachte. Kurz entschlossen heuerte er in Hinkley Point, dem bei Bridgwater gelegenen Atomkraftwerk, als nuclear power Station operator an, was auch immer das ganz genau bedeutet. Dreißig Jahre versah er täglich seinen Schichtdienst.
Es dauerte gar nicht lange, bis ihm klar war, daß ihm diese Art Arbeit überhaupt nicht behagte. Den Job brauchte er aus besagten Gründen, aber wenigstens in seiner Freizeit wollte er künstlerisch tätig sein. Schließlich überredete er den Dorfschmied, ihm das Schmieden beizubringen – zusätzlich zur täglichen Arbeit verbrachte Bill nun vierzig Stunden in der Woche in der Schmiede.
Inzwischen ist Bill in Rente und seit einigen Jahren glücklich geschieden. Als Kunstschmied hat er sich längst einen Namen gemacht: Von Zäunen über Gartenstühle bis hin zu Kamingeschirr macht er alles, was das Herz seiner Kunden sogar in London begehrt. Die Produkte sind so eigenwillig wie Bill, starre Formen gibt es bei ihm kaum, denn Bewegung ist ihm sehr wichtig. Am liebsten schmiedet Bill jedoch Drachen.
Bill ist inzwischen Anfang 60. Zu seinem Glück fehlt jetzt nur noch, wie gesagt, eine Frau, mit der er alles dies teilen kann.
Der Dorfschmied, bei dem er seine Ausbildung machte, hat sich übrigens nach einigen Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen – um Violinen zu bauen.
Biotop für Druiden und Gespenster
… als sie die Augen aufschlugen, war an dem wolkenverhangenen Himmel draußen kein Vorzeichen der merkwürdigen und geheimnisvollen Dinge zu erkennen, die bald überall im Land geschehen sollten.
J.K. Rowling,
Harry Potter und
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