Gebrauchsanweisung für Südengland
von Freunden und Verwandten behilflich ist.
In Alcombe, einem Stadtteil von Minehead, findet man die spiritual church in einer kleinen Kapelle. Von der Straße aus kann man das Kirchlein kaum sehen, es liegt eingebettet zwischen hübsch dekorierten Cottages inmitten von blühenden kleinen Gärten. Jeden Sonntag trifft sich die Gemeinde zum Gottesdienst, der allerdings etwas anders abläuft, als man es bei uns landläufig in den Kirchen erleben kann.
Ungefähr 30 Personen sind auch an diesem Sonntag zusammengekommen. Viele kennen sich, aber es sind auch ein paar Neulinge dabei. Die Atmosphäre ist freundlich, entspannt. Jeder wird herzlich begrüßt. Über einer Tür zu einem Nebenraum verweist ein Schild auf die Teeküche – wen überrascht’s. Vorne, neben dem Altar, steht eine reizende ältere Dame, die nicht englischer aussehen könnte. Die weißen, frisch frisierten Haare haben einen ganz leichten Blaustich, die geblümte Bluse steckt in einem eleganten, langen blauen Faltenrock. Sie muntert Mary auf, die heute erstmals an der Orgel Dienst tut und fürchterlich nervös ist. Dann begrüßt sie John, das Medium, das heute in Alcombe zu Gast ist. Er ist gerade aus den Midlands nach Minehead gezogen, um hier mit seiner Frau den Ruhestand zu genießen und sieht genauso aus, wie man sich einen netten Rentner vorstellt. Auch in der Gemeinde sucht man vergebens nach Hippies und New-Age-Jüngern mit den typischen Accessoires wie wallenden Gewändern und dem Duft von Räucherstäbchen im Haar. Jede Altersgruppe ist vertreten, und alle sehen ganz normal aus.
Der Gottesdienst beginnt mit dem Singen von fröhlichen Liedern. Elizabeth, die Dame in der geblümten Bluse, schmettert den Song fröhlich in die Kapelle und versichert anschließend, daß Mary ganz wunderbar gespielt habe. Schließlich ergreift John das Wort. Er gerät in Trance, starrt in den Raum und beschreibt Gestalten, die nur er sehen kann. Dann wendet er sich einem Gemeindemitglied zu und fragt, ob dieser bereit sei, eine Nachricht von einem lieben Verstorbenen entgegenzunehmen. Auch wenn John inzwischen in Minehead wohnt, kennt er kaum einen der Besucher des Gottesdienstes. Um so verblüffender ist seine akkurate Beschreibung von Lebensumständen und besonderen Vorlieben von Verstorbenen, die es dem angesprochenen Gemeindemitglied ermöglichen, seinen Großvater oder die Schwester zu erkennen.
Spiritismus versteht sich als a way of life, eine Lebenseinstellung, die Philosophie, Wissenschaft und Religion miteinander verbindet. Nur die wenigsten Menschen, die eine spiritual church besuchen, würden sich als Spiritisten im Sinne der Angehörigkeit zu einer Religion oder gar Sekte bezeichnen. Sie leben ihren Glauben, daß die Persönlichkeit des Menschen den Tod übersteht und daß der Tod nicht das Ende, sondern der Beginn eines neuen Daseins- oder auch Bewußtseinsabschnitts ist.
Verstorbene sitzen nicht harfespielend auf einer Wolke im Himmel, sondern sind als Führer auf der Erde tätig. Wenn ein Lebender Hilfe benötigt, sind sie für ihn da. Jeder kann ihre Führung im täglichen Leben erfahren oder auch, wenn man den eigenen Wahrnehmungen nicht traut, ein Medium um Hilfe bitten.
Auch an diesem Sonntagnachmittag kann John einigen Menschen helfen, die heute nach Alcombe gekommen sind. Er hat eine Nachricht für eine junge Frau, deren Mutter vor kurzem verstorben ist. Sie hatte sich nicht richtig um die Mutter kümmern können, sondern sie in ein Krankenhaus einweisen lassen. Nun machte sie sich fürchterliche Vorwürfe. John hatte jedoch eine Nachricht der Mutter für sie: sie solle sich nicht grämen, alles wäre in Ordnung, und auf keinen Fall solle sie die geplante Hochzeit verschieben. Denn nun wäre es an der Zeit, ihr eigenes Leben zu leben.
Die Bewegung der Spiritisten begann in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in Nordamerika und schaffte ziemlich schnell den Sprung nach Europa. Im viktorianischen England wurde Tischerücken ein beliebtes After-Dinner-Vergnügen. Die Befragung des Ouija-Boards, ein mit einem Kreis aus Buchstaben und den Antworten Ja und Nein versehenes Brett, auf dem ein Glas, angetrieben von der Kraft der Zeigefinger der Anwesenden, Antworten aus dem Jenseits buchstabiert, war mindestens ebenso populär.
Seancen mit berühmten Medien wurden abgehalten und pseudo-wissenschaftliche Untersuchungen unternommen, bei denen die Stimmen Verstorbener aufgezeichnet werden sollten. Die Forschungen von Freud und Jung zum Unbewußten
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