Gebrauchsanweisung für Südengland
Taxifahrer geben, die es Mike gleichtun. Immer wieder machte er Zusatzausbildungen im landwirtschaftlichen Bereich und vor drei Jahren war es soweit: Er eröffnete eine Gärtnerei, die sich auf die Zucht von frischen Kräutern spezialisiert hat. An Mikes Seite arbeitet eine Frau, Sylvie, deren Lebensweg ebenso ungewöhnlich ist. Die Französin lebte längere Zeit in London, wo sie in ihrem Beruf als Lehrerin einen Job suchte. Es verschlug sie und ihren Ehemann dann aber nach Somerset. Eines Abends kam sie im Notley Arms, dem Pub des malerischen Örtchens Monksilver, ins Gespräch mit Mike, der ihr von seinem Unterfangen erzählte. Und da sie gerade nichts Besseres zu tun hatte und sich als Französin für den Umgang mit Kräutern prädestiniert fühlte, fing sie kurzerhand an, mit Mike die Bardon Nursery aufzubauen. Das Geschäft läuft inzwischen prima. Auch Mike hat seinen Erfolg den Bauernmärkten zu verdanken. Sowie natürlich Sylvie, die den zweifelnden Hausfrauen auf den Märkten genau erklären kann, bei welchen Gerichten man welche frischen Kräuter einsetzen sollte.
Hier hilft auch, ohne es zu wissen, Jamie Oliver, der junge Fernsehkoch, von dem bereits die Rede war: Keine Sendung vergeht, in der er nicht die Vorzüge frischer Kräuter beim Kochen anpreist und seinen Zuschauern rät, sich, wenn sie schon keinen Garten haben, wenigstens einen Blumenkasten auf die Fensterbank zu setzen, in dem sie mindestens Schnittlauch, Petersilie, Basilikum und vielleicht auch noch etwas Thymian, Oregano, Koriander und Rosmarin anpflanzen sollten. Die Kräuterpflanzen dazu gibt es in der Bardon Nursery – das sagt Jamie Oliver natürlich nicht, aber die Einwohner von West Somerset haben das bereits selbst herausgefunden.
Der Pub The Notley Arms spielt auch bei unserer nächsten Persönlichkeit eine Rolle. Hier begann nicht nur Sylvies neue Karriere, sondern auch das zweite oder vielleicht auch eher dritte Leben von Tom. Seinen Nachnamen nennt er nicht. Muß er auch nicht, denn jeder in der Gegend kennt ihn als »Tom the Lettuce«. Ursprünglich war Tom einmal Vieheinkäufer, doch im Lauf der Zeit mutierte er, wie so viele Engländer, zum builder. Unter diesem Begriff ist so ziemlich alles zusammengefaßt, das mit dem Bauen und Erhalt von Häusern zu tun hat.
Tom hatte, als er nach Watchet kam, etwas Land im Exmoor gekauft und Häuser darauf gebaut. Da builder im West Country extrem rar sind und er offensichtlich seine Arbeit gut machte, beauftragte ihn erst der eine Nachbar, dann der andere mit diversen Bauprojekten. Damit war der Wandel von der Land- zur Bauwirtschaft vollzogen. Jahrelang ging alles gut, doch dann holte Tom eine Verletzung wieder ein, die er sich als Neunjähriger zugezogen hatte: damals hatte er sich das Schienbein gebrochen, ein Unfall, den er fast vergessen hatte. 44 Jahre später sollte er aber wieder daran erinnert werden.
Fast anderthalb Jahre brauchten die Ärzte, um den Grund seiner Schmerzen in diesem Bein festzustellen, dann stand die Diagnose fest. Tom litt an einer seltenen Form von Knochenkrebs. Wenn er Glück hatte, würde er noch drei Jahre zu leben haben. Die Alternative war Amputation. Die Wahl fiel Tom nicht schwer: Vor neun Jahren wurde ihm der Unterschenkel abgenommen.
Mit der Arbeit als Bauarbeiter war es vorbei, aber Nichtstun war nicht nach Toms Geschmack. Eines Tages drückte ihm jemand ein paar Samenkörner in die Hand, die sich als Salatpflanzen entpuppten. Und hier kommt noch einmal The Notley Arms ins Spiel: Tom hatte, da er und seine Familie nicht soviel Salat essen konnten, dem Wirt ein paar Salatköpfe mitgebracht. Dieser zeigte sich so begeistert, daß er Tom dazu ermutigte, regelmäßig Salat anzubauen und ihn mit dem frischen Grün zu versorgen.
Das war der Beginn einer sagenhaften Salatkarriere, die Tom auch seinen Beinamen »The Lettuce« (der Salatkopf) einbrachte. Jeden Freitag zwischen 4 und 8.30 Uhr morgens pflückt Tom seinen Salat und liefert ihn an diverse Pubs, Restaurants und Shops in der näheren Umgebung.
Der besondere Service besteht darin, daß der Salat bereits frisch gewaschen und gemischt in Plastikbeutel abgefüllt ist. Mindestens zehnmal soviel könnte Tom davon verkaufen. Zwischendurch demonstriert er gerne, wie er trotz Prothese die Pflanzarbeit am Boden verrichten kann: Um sich richtig hinknien zu können, dreht er seinen künstlichen Unterschenkel einfach nach hinten, so daß der Fuß nach oben schaut
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