Gebrauchsanweisung für Südengland
verbreiten die nächtlichen Besucher weder Angst noch Schrecken. Der Schloßverwalter hat sich längst an sie gewöhnt, und die Hausgäste vermuten nur in den seltensten Fällen, Gespenster beim Gespräch belauscht zu haben. Sie erkundigen sich morgens immer nur danach, ob jemand in der Familie sich nicht wohl gefühlt habe.
Jedes Jahr finden Ende Oktober Geistertouren in Dunster Castle statt, für alle, die sich gerne gruseln. Zugegeben, die Veranstalter helfen mit Spezialeffekten ein wenig nach. Doch als vor einigen Jahren ein Besucher den Schloßverwalter fragte, wie sie es denn geschafft hatten, das Gesicht so täuschend echt in den Spiegel zu bekommen, mußte dieser passen. Da hatte wohl eines der Hausgespenster ein wenig mitspielen wollen. Immerhin hat in besagtem Zimmer einstens King Charles I genächtigt. Hätte nächtigen können, ist vielleicht die bessere Formulierung. Bekannt ist nur, daß King Charles einst in der Gegend war, und wenn er überhaupt irgendwo geschlafen hat, dann nur in diesem Raum. Von der Gruppe ist jedenfalls keiner bereit, den Kopf in den Geheimgang zu stecken, der, von einer Tapetentür versteckt, von diesem Schlafzimmer ausgeht. Man kann ja nie wissen, wer sich darin versteckt.
Auf dem Weg zur Eingangshalle des Schlosses berichtet Jane von der Weißen Frau, die in Dunster Castle häufig gesichtet wurde. Verstohlen schauen sich einige über die Schulter, ob sie vielleicht gefolgt ist. Doch da steht nur Alan, der aufpaßt, daß niemand zurückbleibt.
In der Eingangshalle zeigt Jane zwei lebensgroße, Lampen tragende Figuren, die rechts und links vom Kamin stehen. Jedes Jahr wird im Winter, wenn das Schloß für Besucher geschlossen ist, alles mit Tüchern abgedeckt. So war es auch, als der Schloßverwalter ein paar Verwandte durchs Haus führte. Als er wieder in die Eingangshalle kam, wunderte er sich über den eigenartig brenzligen Geruch – jemand hatte, während er unterwegs war, die Lampen unter den Tüchern angeschaltet.
Dann geht es schließlich durch das Portal nach draußen. Den Türdienst versieht ein Butler, ein echter, zum Anfassen, auch wenn er keine Miene verzieht. Dieses Mal wird der Gruseleffekt aber dadurch gemindert, daß man ihn einwandfrei als den jungen Mann erkennen kann, der sonst im Laden arbeitet.
Die Gespenstertouristen sind heilfroh, daß sie alles gut überstanden haben. Jetzt geht es auf in den Luttrell Arms – einen uralten Pub am anderen Ende von Dunster mit großem Kamin, dunklen Holzbalken und viel Atmosphäre. Dort kann man die Schaudereffekte der Geisterei mit einem wohlverdienten Whisky lindern!
England hat ein ganz besonderes Verhältnis zu seinen durchsichtigen Mitbürgern: Wer als Gespenst etwas auf sich hält, hat sich auf der Insel niedergelassen, wo es in jedem anständigen Haus spukt und selbst Hotels mit ihren Hausgespenstern werben. Da durchstreifen die Geister von Übeltätern reuevoll die Örtlichkeiten ihrer Verbrechen, finden sich Hotelgäste von Angesicht zu Angesicht mit feisten Mönchen, die sich auf ihrem Bett niedergelassen haben, oder hält ein unsichtbarer Spuk Besucher mit lautem Rumoren vom Schlafen ab. Alles ganz normal, finden jedenfalls die Engländer. Kein Wunder, daß sich Gespenster in diesem Land der alten Gemäuer, historischen Landsitze und verwunschenen Gärten so wohl fühlen. Geben Sie es zu – Sie würden als Gespenst auch nicht in Deutschland spuken wollen, wo kein Mensch an Sie glaubt und Ihre besten Streiche und Tricks nur als naturwissenschaftliche Phänomene diskutiert werden.
Wenn es auf den 31. Oktober zugeht, sind die Engländer nicht mehr zu bremsen. Kaum ein Manor House, das nicht, wie Dunster Castle, Normalsterbliche zu Touren durch seine Gemäuer einlädt, um Gespenstern auf die Spur zu kommen. Schließlich ist Halloween der höchste Feiertag unter Gespenstern. Geistertouren beschränken sich aber nicht auf altertümliche Gebäude. Auch die Mitarbeiter von Gartenanlagen wie Hestercombe Gardens bei Taunton versetzen bei ihren Touren durch die dunklen Alleen Besucher in Angst und Schrecken. Und die machen das auch noch freiwillig mit. Je heftiger es schaudert, desto besser.
Man muß in England jedoch nicht auf Zufallsbegegnungen mit Gespenstern und schon gar nicht auf Halloween warten, möchte man sich mit den Verstorbenen in Verbindung setzen. In fast jedem Ort gibt es eine spiritual church, eine spiritistische Kirche, die bei der Kontaktaufnahme mit den Seelen
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