Gebrochene Schwingen
Daddy?« Der hoffnungsvolle Ton in seiner Stimme brach mir fast das Herz.
»Nein, Drake. Erinnerst du dich an das, was ich erzählt habe?
Gott hat sie zu sich in den Himmel gerufen.« Er nickte. »Dort sind sie jetzt. Aber sie schauen herab und freuen sich, weil sie sehen, daß du gut versorgt wirst. In Ordnung?«
Ich stellte ihn auf den Boden und begann, die Schubladen zu durchsuchen. Logan hatte mehrere Koffer gefunden, aber ich nahm so wenig von Drakes Sachen, daß einer ausreichte.
Drake sollte sich noch sein Lieblingsspielzeug heraussuchen.
Kurz darauf stand er mit einem kleinen Feuerwehrauto vor mir. Es stammte aus den Tatterton-Spielzeugwerken und war eine genaue Nachbildung eines der ersten Feuerwehrautos, die je gebaut worden waren. Das Material war schweres Metall, und die Pumpe funktionierte wirklich; es hatte echte Gummireifen und ein Steuer, mit dem man die Vorderräder bewegen konnte. Die kleinen Feuerwehrmänner hatten alle einen anderen Gesichtsausdruck: einige wirkten angespannt, andere lächelten. Alles war völlig intakt und heil, man war offensichtlich sorgsam mit dem Spielzeug umgegangen. Diese Art von Qualität konnte man in keinem Geschäft kaufen. Ich hatte Drake dieses Auto nach meinem ersten Besuch geschickt.
»Oh, das ist schön, Drake. Weißt du, von wem du das bekommen hast?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es dir vor Jahren geschickt. Ich freue mich, daß du es so gut behandelt hast und daß es das Spielzeug ist, das du mitnehmen willst.
Aber weißt du was?« sagte ich, zog ihn an mich und strich ihm die Haare aus der Stirn. »Du wirst ganz viel von solchem Spielzeug bekommen, gutes Spielzeug, echtes Spielzeug.«
Seine Augen wurden groß vor Interesse. »Weißt du warum?«
Er schüttelte den Kopf. »Weil Logan und ich eine Spielzeugfabrik haben«, sagte ich. Er sah überrascht aus, doch mein Lächeln überzeugte ihn. »Das stimmt. Eine Spielzeugfabrik. Und nun bring es zu Logan und sag ihm, daß du es mitnehmen möchtest.« Ich schaute mich noch einmal um, dann ging ich wieder in Stacies und Lukes Schlafzimmer.
Das Bild, auf dem sie zusammen vor dem Haus standen, wollte ich mitnehmen: sowohl für Drake als auch für mich.
»Ich koche Tee. Willst du welchen?« rief Logan aus der Küche.
»Nein danke. Schau mal, daß Drake etwas ißt, ja?«
»Gut. Komm, Drake«, hörte ich Logan sagen, »schauen wir mal, was es zu Mittag gibt, ja?«
Während sie in der Küche herumhantierten, durchsuchte ich die Kommodenschubladen, um zu sehen, ob es etwas Wertvolles gab, das ich für Drake mitnehmen sollte. Ich fand Schmuck, der jedoch größtenteils Modeschmuck war, eine Uhr, die wertvoll aussah, und einige Fotos von Stacie und Luke. Außerdem fiel mir ein Kaninchen in die Hände, das Großpapa geschnitzt hatte. Tränen schossen mir in die Augen, als ich daran dachte, wie er immer in seinem Schaukelstuhl gesessen hatte, schnitzte und mit seiner Annie sprach, die in seiner Einbildung lebte.
Dann fand ich etwas, das mich erstaunte – einen Zeitungsbericht aus dem Bostoner Globe über meine Hochzeit mit Logan. Luke hatte die Sätze, in denen berichtet wurde, daß ich als Lehrerin in Winnerow arbeitete, unterstrichen. Ich saß auf dem Bett und hielt den Zeitungsausschnitt in der Hand.
Also hatte er sich doch für mich interessiert, also war er doch auf mich stolz gewesen, dachte ich. Aber warum war er nicht zur Hochzeit gekommen, warum hatte er nie geschrieben? Und nun war er tot, Stacie war tot, und Mrs. Cotton war fort. Sie wäre ohnehin nicht die richtige Person gewesen, um mir meine persönlichen Fragen zu beantworten; und der Rechtsanwalt war zu professionell und zu gleichgültig, um sich um etwas anderes als Rechtsangelegenheiten zu kümmern.
Aber Tony wird es wissen, dachte ich. Dessen war ich mir ganz sicher. Aus irgendeinem Grunde hatte er mit Luke und seinem Leben zu tun gehabt. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu fragen, warum er alles vor mir geheimgehalten hatte. Wollte er mich vor irgend etwas schützen? Ich war kein Kind mehr; er hatte kein Recht dazu, auch nur irgend etwas vor mir zu verbergen.
Ich legte den Bericht zu den Fotos und zu den anderen Sachen, die ich mitnehmen wollte. Gerade wandte ich mich den Schränken zu, als es an der Haustür klingelte. Logan öffnete, und ich lauschte. Es war eine bekannte Stimme, die ich hörte: Fanny! Und da war noch eine zweite mir ebenfalls vertraute Stimme: Randall Wilcox. Bis ich herunterkam, waren sie und Randall schon in die
Weitere Kostenlose Bücher