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Gebrochene Schwingen

Gebrochene Schwingen

Titel: Gebrochene Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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laut.
    »Warum redet Tante Martha mit dem Kasten?« fragte Drake.
    »Wer ist da drinnen? Hat Merlin, der Zauberer, jemanden hineingezaubert?«
    »Nein, Liebling«, sagte ich und küßte zärtlich seine Stirn.
    »Ich will hineinschauen! Ich glaube dir nicht! Ich glaube dir nicht! Ich glaube, mein Daddy ist da drinnen!« rief er und versuchte sich loszureißen. »Laß mich los! Ich will zu meinem Daddy!«
    Er lief zu dem Sarg. Aber dann hielt er plötzlich an, legte sein winziges Ohr an das Holz und klopfte: »Bist du da drinnen, Daddy?«
    Ich wollte ihm nachlaufen und ihn trösten, doch die Frau mit Bart faßte mich sanft an den Ellenbogen. »Bitte«, sagte sie freundlich, »ich glaube, ich kann ihm helfen, Drake und ich sind schon immer gute Freunde gewesen.«
    Drake fiel der Frau mit Bart in die Arme. »Tante Martha!
    Tante Martha! Ist mein Daddy da?«
    »O mein Liebling, Drake! Dein Daddy ist im Himmel. Was hier ist, ist nur seine Hülle. Aber mach dir keine Sorgen, Liebling.
    Im Himmel ist ein wunderbarer Zirkus. Der größte Zirkus, den Mommy und Daddy je gesehen haben. Sie sind dort sehr glücklich. Aber, was am wichtigsten ist, sie möchten, daß du auf der Erde glücklich bist. Sie möchten, daß du zur Schule gehst und gut bist, daß du gesund bleibst; und wenn du groß bist, kannst du ein Zirkusdirektor werden, so wie Daddy.« Sie begann zu weinen.
    »Ich möchte Zirkusdirektor werden«, sagte Drake. »Und Löwenbändiger auch.«
    »Nun geh zurück an deinen Platz zu deiner Schwester. Sie hat dich sehr, sehr lieb.«
    Dann nahm die Frau mit Bart den kleinen Drake fest in die Arme und küßte ihn zum Abschied.
    »Ich werde Löwenbändiger«, erzählte Drake stolz. »Aber natürlich, mein Liebling. Du kannst alles werden, was du willst, und ich helfe dir dabei«, versicherte ich ihm. »Und nun, Drake«, sagte ich und führte ihn vom Sarg fort, »setzen wir uns hin und hören dem Gottesdienst zu, ja?«
    Er nickte brav und hielt meine Hand so fest, daß man meinte, er hätte Angst, ich könne verschwinden. Während wir zurückgingen, merkte ich, daß die vielen bekannten Gesichter Drake beruhigten. Als ich die Menge betrachtete, stellte ich mit Erstaunen fest, daß Fanny und Randall noch nicht gekommen waren. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach.
    Die Orgel hatte gerade eingesetzt, als ich eine Unruhe bemerkte. Ich drehte mich um und sah, wie Fanny und Randall den Gang heruntereilten. Fanny trug das gleiche schwarze Cocktailkleid wie gestern, und ihr Gesicht war genauso stark geschminkt. Als sie sich neben uns setzte, fiel ihr Blick plötzlich auf die Särge. Sie er griff meine Hand, und die Tränen strömten ihr über die Wangen; Tränen, die sich durch die Schminke in schmutzige schwarze und blaue Ströme verwandelten. Jetzt fühlte ich mich dieser Schwester, die mich eigentlich immer hatte verletzen wollen, fast nahe.
    Während des Gottesdienstes wurde Fannys Schluchzen so laut, daß jeder in der Kirche es hören konnte. Randall tröstete sie, in der Hoffnung, daß sie leiser werden würde. Einen Moment lang, kurz vor dem Ende des Gottesdienstes, schauten Fanny und ich uns an, und ich sah in ihren Augen meinen eigenen schweren Schmerz.
    Luke hatte ihr früher stets seine Liebe gezeigt, und Fanny hatte nicht viel Liebe erfahren in ihrem Leben. Lukes Tod war wirklich ein großer Verlust für sie.
    Die Särge wurden aus der Kirche und zum Friedhof getragen.
    Ein Gedenkstein war schon vorbereitet worden. Oben stand Casteel, darunter die Vornamen und die Geburts- und Todesdaten. Der Spruch lautete einfach: »Ruhet in Frieden.«
    Nachdem die letzten Gebete gesprochen und die Särge hinabgelassen worden waren, brachen die Trauergäste auf.
    An der Kirchentür riß Fanny Drake mit tränenüberströmtem Gesicht in ihre Arme.
    »O Drake, Süßer, nun bist du ein Waisenkind, so wie wir.«
    Sie bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Er leistete ihr keinen Widerstand, denn er war wie betäubt und überwältigt durch den Gottesdienst und den Anblick der Särge. Da ich jedoch fand, daß sie übertrieb, zog ich ihn aus ihren Armen.
    »Er ist kein Waisenkind«, sagte ich, und Ärger flammte in mir auf. »Er hat ein Heim und eine Familie.«
    Fanny wich zurück, bestürzt über den kalten Ton in meiner Stimme. Sie wischte sich die Tränen von ihren Wangen und schaute mich an.
    »Er sollte in den Willies leben«, sagte sie. »Mit den Leuten von Daddys Familie.«
    »Auf gar keinen Fall«, erklärte ich und richtete mich stolz

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