Gebrochene Schwingen
fröhlicher Gesang von einem glücklichen Ehemann bei seiner Morgentoilette. Als ich noch ein kleines Mädchen war, hatte ich von dieser glücklichen Szene immer geträumt, wie ich auf dem Badewannenrand hocken und meinem Gatten beim Rasieren zuschauen würde. Nun war mir dieser Morgen gestohlen worden – der erste Morgen meiner Flitterwochen!
Und ich glaubte auch zu wissen, wer ihn gestohlen hatte –
derjenige, der schon immer meine Liebe gestohlen hatte, um sie einzig für sich selbst zu behalten – Tony.
Mir fiel wiederum, daß Tony gestern beim Essen darauf bestanden hatte, Logan heute die Spielzeugfabrik zu zeigen.
»Oh, und du mußt mitkommen, Heaven. Schließlich wird das alles mal dir und Logan gehören«, fügte er mit einem Wink auf Logan hinzu. Ich wollte es nicht zulassen, daß Tony mich wieder in seinen alten Plan verwickelte, daß ich ins Geschäft einsteigen sollte. »Nein«, beharrte ich, »Logan und ich haben vor, im Bett zu frühstücken und den Tag auf dem Gelände von Farthy zu verbummeln, nicht wahr, Liebling?« Aber Logan war geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, die Tony ihm schenkte, fasziniert, wie Tony ihn als ein Mitglied der Familie behandelte und als zukünftigen Erben.
Ich zog ein mit großen Blumen bedrucktes Voile-Kleid an und ging hinunter. Ich hoffte, daß ich Tony und Logan noch beim Frühstück antreffen würde. Gerade, als ich die Treppe betreten wollte, hörte ich die schrille, kindische Stimme von Jillian.
»Sehe ich heute nicht besonders schön aus? Das ist ein ganz besonderer Tag. Sagen Sie, ich bin doch heute die Allerschönste? Das bin ich doch, oder?«
»Auf jeden Fall, meine Liebe, Sie sind die Allerschönste«, hörte ich Martha Goodman zustimmen.
Da ich meinen Mann nicht in der Nähe hatte, merkte ich, wie die eigenartigen Klänge, die aus Jillians Zimmer drangen und die Welt von Farthy so seltsam verzerrten, mich wieder in ihre knorrigen Fänge nahmen. Fast gegen meinen Willen wurde ich zu Jillians Zimmer hingezogen. Oh, wo war nur Logan?
Warum hatte ich überhaupt die Einwilligung gegeben, unsere Flitterwochen hier zu beginnen? Ich hätte es wissen sollen, daß die Zustände nicht besser, sondern schlimmer geworden waren.
»Martha?« rief ich. Martha Goodman erschien an der Tür.
»Martha, was ist los?« fragte ich.
»Oh, das ist nichts Ungewöhnliches, Heaven«, antwortete sie, als ob es normal wäre, daß Jillians Stimme durch den Flur hallte. »Gestern abend war Mr. Tatterton hier, und er hat Miss Jillian sehr aufgeregt wegen des Empfangs. Ich hätte nicht gedacht, daß sie sich überhaupt daran erinnert, aber sie ist schon seit Tagesanbruch dabei, sich zu schminken.«
»Dann versteht sie also, daß ich hier bin und geheiratet habe?« fragte ich hoffnungsvoll.
»O nein.« Martha schüttelte traurig den Kopf. »Leider nicht.«
»Ja… wie hat Tony dann den Empfang erklärt?«
»Er hat ihr den wahren Anlaß erklärt«, antwortete Martha und lächelte. »Aber Jillian hat gehört, was sie wollte.«
»Was meinen Sie damit?«
»Nun, ich fürchte, sie denkt, es ist der Empfang zu ihrer eigenen Hochzeit.«
»Wie bitte?« Ich verschränkte meine Arme über der Brust, preßte sie an mich, als wäre ich ein Kind, das sich vor der entsetzlichen Wahrheit von Jillians Eifersucht und Wahnsinn schützen mußte. »Das verstehe ich nicht. Ihre eigene?«
»Sie meint den Empfang, der für sie gegeben wurde an dem Tag, an dem sie Tony heiratete und in Farthinggale einzog«, sagte Martha.
»Oh… ja, ich verstehe.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon gut gehen.
Beinahe jeder, der kommt, weiß, wie sie inzwischen ist«, versicherte mir Martha.
»Natürlich. Wenn es irgend etwas gibt, was ich tun kann, lassen Sie es mich wissen«, murmelte ich und lief nach unten.
Ich suchte Logan, ich sehnte mich nach seiner Umarmung, nach der Sicherheit, daß ich zu ihm gehörte und nicht hierher.
Der Frühstückstisch war von den Dienstboten schon abgeräumt worden. Ich suchte Logan in der Küche. Er war doch sicher nicht aufgebrochen, ohne sich von mir an diesem Flitterwochenmorgen zu verabschieden. Aber in der Küche fand ich nur meinen alten Freund Rye Whiskey.
»Miss Heaven!« rief er aus. Er freute sich, mich zu sehen, aber ich merkte auch, daß er sich erschreckt hatte, als ich durch die Tür trat. Er ging schnell zum Salzstreuer und streute ein paar Körner über die Schulter. Ich lachte nicht darüber. Rye war abergläubisch, er hatte eine Menge
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