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Gebrochene Schwingen

Gebrochene Schwingen

Titel: Gebrochene Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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interessiert.
    »Ich fürchte, nicht. Mr. Tatterton hat sie anscheinend nicht auf Ihren Besuch vorbereitet?« fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist anders, Heaven, ganz anders.«
    »Wie das?« fragte ich.
    »Sehen Sie am besten selbst«, sagte sie, fast schon flüsternd.
    »Mrs. Tatterton ist am Schminktisch und macht sich zurecht für die Gäste«, fuhr sie fort, wandte ihr rundes Gesicht von mir ab und nickte traurig.
    »Gäste?«
    »Die Leute, die sie eingeladen hat, um mit ihr einen alten Film in ihrem Privatkino anzuschauen.«
    »Ich verstehe.« Ich schaute auf die Schlafzimmertür. »Ich bringe es besser hinter mich«, sagte ich und klopfte an. Nach einem Augenblick hörte ich Jillians Stimme. Sie klang weicher, jünger, glücklicher als sonst. »Ja, bitte!«
    Ich blickte Martha Goodman an, die mir freundlich zunickte, ehe sie sich wieder in ihren Sessel setzte. Also trat ich ein.
    Jillian saß an ihrem mit Marmor abgedeckten Schminktisch und trug eines ihrer losen Hauskleider in Beige mit pfirsichfarbener Spitze. Sie sah aus wie ein Zirkusclown. Ihr Haar war leuchtend gelb gefärbt und so aufgesteckt, daß einzelne struppige Strähnen hochstanden. Ihr Gesicht sah aus wie rissiges Porzellan, nur an den Wangen waren leuchtend rote Flecken. Eyeliner war auf ihre Lider geschmiert, in ihren faltigen Augenwinkeln war die Linie verlaufen. Ihr Lippenstift war grell, dick aufgetragen und an den Mundwinkeln verklebt.
    Doch als ich an ihr vorbei in den Spiegel sehen wollte, sah ich zu meinem Entsetzen nur die nackte Rückwand des ehemaligen Spiegels. Das Glas war entfernt worden. Jillian saß vor dem leeren Rahmen und schaute auf ihr Abbild aus der Erinnerung.
    Ich schaute hinüber zu ihrem Bett und sah ein Kleid neben dem anderen auf der Tagesdecke liegen. Viele Paar Schuhe standen auf dem Boden. Schubladen waren herausgezogen, Unterwäsche und Strümpfe quollen aus ihnen heraus. All ihre Schmuckkästchen waren offen. Glitzernde Colliers, Juwelenohrringe, mit Diamanten besetzte Diademe lagen auf der Kommode. Das Zimmer sah aus, als ob es von einer Wahnsinnigen durchwühlt worden wäre. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Jillians Zustand war viel schlimmer geworden, als ich erwartet hatte.
    Sie erblickte mich und fing an, geziert zu lächeln. Ein Lächeln, das ihr clowneskes Aussehen ins Dämonische zog und mir Angst machte.
    »Leigh«, sagte Jillian mit erzwungener Fröhlichkeit. »Gott sei Dank, daß du da bist. Ich werde bald verrückt, weil ich nicht weiß, was ich anziehen soll. Du weißt doch, wer heute kommt, nicht wahr?« fügte sie in lautem Flüstern hinzu. Sie schaute sich im Zimmer um, als wären da auch andere Leute, die sie hören könnten. »Jeder, der zählt. Und alle kommen sie zu meiner Vorstellung.«
    »Hallo, Großmutter«, sagte ich und ignorierte ihr verrücktes Gestammel. Ich hoffte, wenn ich nicht darauf einging, würde sie es vielleicht aufgeben. Statt dessen lehnte sie sich zurück und starrte mich an, als hätte sie etwas anderes gehört.
    »Was heißt das, du willst nicht kommen? Schließlich lade ich mit Absicht einflußreiche Leute nach Farthy ein, damit du sie und deren Söhne kennenlernst. Du solltest dich für junge Männer in deinem Alter interessieren. Es ist nicht gesund, wenn du… wenn du immer nur mit Tony zusammen bist.«
    »Großmutter, ich bin nicht Leigh. Ich bin Heaven, deine Enkeltochter«, sagte ich und machte ein paar Schritte auf sie zu. »Ich habe geheiratet, Großmutter. Er heißt Logan, Logan Stonewall. Wir sind nach Farthy gekommen, weil Tony für uns einen großen Empfang gibt.«
    Sie schüttelte den Kopf. Offensichtlich hörte sie kein Wort von dem, was ich sagte.
    »Ich habe dir immer wieder gesagt, du sollst nicht so unvollständig angezogen in mein Schlafzimmer kommen. Du bist kein Kind mehr. Du kannst nicht so umherstolzieren, besonders nicht vor Tony. Du solltest etwas mehr Selbstachtung haben. Eine Dame, eine richtige Dame tut so etwas nicht. Nun geh und zieh dich fertig an!«
    »Jillian!« Ich dachte, wenn ich ihren Vornamen benutzte, würde sie mich vielleicht wahrnehmen. Ich wußte, wie sehr sie es haßte, als Großmutter behandelt zu werden. »Leigh ist fort.
    Leigh ist tot«, sagte ich sanft. »Ich bin Heaven.«
    Sie zwinkerte einige Male und setzte sich gerade hin.
    »Das ist das letzte Mal, daß du so etwas mit mir anstellst«, krächzte sie. »Du nimmst jeden gegen mich ein. Aber alle kennen die Wahrheit, Leigh, die Wahrheit über dein

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