Gebrochene Schwingen
er einfach nur da und schaute mich mit einem seltsam besorgten Gesichtsausdruck an.
»Was ist los?« fragte ich.
»Oh, nein, nichts ist los«, stotterte er. Dann riß er sich zusammen, seufzte und strahlte mich mit seinem wärmsten Lächeln an. »Ich… es gibt keine Farbe, die dir besser stehen würde als schwarz. Das war bei deiner Großmutter auch so.
Mein Gott, Heaven, du siehst atemraubend aus! Deine Großmutter war schön, deine Mutter war schöner, doch du bist am allerschönsten.«
»Vielen Dank«, sagte ich, »aber…«
»Ich hatte gehofft, daß du dieses Kleid tragen würdest. Aber am meisten hoffe ich, daß du das hier tragen wirst.« In der Hand hielt er eines von Jillians teuersten Diamantencolliers und die dazu passenden Ohrringe.
»O Tony. Das kann ich nicht. Das darf ich nicht.« Ich schüttelte den Kopf und trat zurück.
»Unsinn! Ich bestehe darauf. In der Schublade verblassen sie nur.«
Er trat hinter mich und legte das Collier um meinen Hals.
Dann faßte er mich bei den Schultern und drehte mich zum Spiegel um.
»Siehst du, wie du den Diamanten schmeichelst, und nicht umgekehrt?« fragte er. Die glitzernden Steine fühlten sich warm an auf meiner Haut und ließen das Kitzeln in meinem Magen wieder aufflackern. Ich hielt den Atem an, als Tony seine Finger über die Diamanten gleiten ließ, mit Augen, die fast so hell funkelten wie die Steine.
»Danke«, sagte ich, dabei war mir die Kehle wie zugeschnürt. Er drückte seine Lippen auf meinen Scheitel und schloß die Augen.
»Du hast Jasminparfum benutzt, Jillians Jasmin. Leigh hat es auch immer genommen«, flüsterte er.
»Ja, es… es stand hier, und ich…«
»Es freut mich«, sagte er. »Der Duft erinnert mich nur an Gutes. Vergiß die Ohrringe nicht.« Tony legte sie in meine Hand und hielt sie dabei eine Weile fest. »Mach nicht mehr so lange. Ich möchte ein bißchen eher ins Theater kommen und dich noch herumzeigen.«
»O Tony, bitte…«
»Ich warte unten«, sagte er und ging. So aufgeregt, wie Tony war, sah er zwanzig Jahre jünger aus.
Ich legte schnell die Ohrringe an und warf noch einmal einen prüfenden Blick in den Spiegel. Mir war klar, daß ich mit dem Feuer spielte, wenn ich Tonys Erinnerungen an meine Mutter wachrief. Wenn man Jillians verrückten Äußerungen Glauben schenken konnte, hatte sie ihn als junges Mädchen verführt und in ihm ein williges Opfer gefunden.
Aber, so dachte ich, ich bin nicht so jung und unerfahren mit Männern wie meine Mutter. Die Ereignisse können mich sicher nicht so überrollen wie einst sie. Ich hatte sie unter Kontrolle; ich wußte, was ich tat. Ich wollte ausgehen und mich amüsieren. Es tat gut, sich schön und begehrenswert zu fühlen. Was war daran falsch? Wollte das nicht jede Frau genießen? Wollte nicht jede Frau im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen?
Aber war es nicht vielleicht Sünde, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben? Denn genau das war doch Jillians Sünde gewesen: sich in sich selbst zu verlieben und sich ewige Jugend und Schönheit zu wünschen. War ihr Wahnsinn die Strafe dafür? Würde es auch meine Strafe sein?
Ich nahm die Stola und legte sie mir, mit einem letzten Blick auf mein Spiegelbild, um die Schultern. Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich an eines der Fotos von meiner Mutter, das ich im Album entdeckt hatte. Damals war gerade ihr Vater, Cleave Van Goren, fortgegangen. Jillian hatte sich von ihm scheiden lassen und Tony geheiratet. Da war nun die Mutter mit einem neuen Mann, einem viel jüngeren und attraktiveren Mann, dem zwanzigjährigen Tony Tatterton.
Seltsamerweise brachte das strahlend schöne Mädchen, das sonst immer vertrauensvoll in die Kamera gelächelt hatte, nicht mal die Andeutung eines Lächelns zustande. Dunkle Schatten lagen auf ihren Augen, so wie jetzt auch auf meinem Abbild im Spiegel.
Was ich da erblickte, war das meine Erinnerung an dieses Mädchen, oder war ich das wirklich selbst? Das Bild war geradezu prophetisch. Welche Botschaft enthielt es für mich?
Da ich nicht zulassen wollte, daß irgend etwas meine warmen, freudigen Gefühle störte, lachte ich über das, was ich meine dumme Einbildung nannte, und lief aus dem Zimmer.
Mein Gelächter hallte in dem Raum wider und wurde schließlich durch die Schlafzimmertür von mir verbannt, um sich mit all den anderen Geräuschen der Geister von Farthinggale zu vereinen.
Das Stück war eine vergnügliche Gesellschaftskomödie. Wir genossen es sehr und
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