Gebrochene Schwingen
aufgeben – obwohl ich, wie immer, alles versucht hatte, ihr zu helfen. Logan hielt mich über Fannys Affären und Aktivitäten auf dem laufenden. Offensichtlich wurde in Winnerow häufig über sie geklatscht. Seit ihrer Scheidung von dem alten Mallory tuschelte man über ihre Beziehung zu einem viel jüngeren Mann, Randall Wilcox, dem Sohn des Rechtsanwalts.
Randall war erst achtzehn und seit einem Jahr auf dem College, Fanny dagegen war eine geschiedene Frau von zweiundzwanzig Jahren.
Eine Woche, nachdem wir unsere Verlobung bekanntgegeben hatten, fuhr ich hinauf zu dem Haus, das Fanny von dem Geld des alten Mallory gekauft hatte. Das Haus lag oben auf einem Berg, war grellrosa gestrichen und hatte rote Fensterrahmen.
Ich hatte mit Fanny seit über einem Jahr nicht mehr gesprochen. Damals hatte sie mir vorgeworfen, ich würde ihr alles wegnehmen, was ihr gehörte. In Wirklichkeit aber war sie es, die ständig versucht hatte, alles zu stehlen, was mir gehörte, besonders Logan.
»Das ist aber eine Überraschung«, rief sie in dramatischer Übertreibung aus, als sie die Tür öffnete. »Fräulein Heaven höchstpersönlich kommt auf Besuch zu ihrer armen Schwester aus dem Volk.«
»Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, Fanny. Ich bin viel zu glücklich, um mich über irgend etwas aufzuregen.«
»So?«
Sie setzte sich schnell auf die Couch. Ich merkte, daß sie neugierig wurde.
»Logan und ich werden im Juni heiraten.«
»Stimmt das?« fragte sie ungläubig. Sie sackte sichtlich in sich zusammen.
Warum konnte sie sich nicht einmal mit mir freuen?
»Du weißt doch, daß wir uns wieder getroffen haben.«
»Ich kann doch nicht alles wissen! Du kommst ja nie vorbei, und reden tun wir erst recht nicht miteinander.«
»Du weißt genau, was in Winnerow passiert, Fanny. Aber wie dem auch sei – möchtest du meine Brautjungfer werden?«
»Wirklich?« Ihre Augen leuchteten auf. Dann sah ich das böse Feuer in ihnen zurückkehren. »Ich kann es jetzt noch nicht sagen, Heaven, Liebste. Ich bin ziemlich eingespannt. An welchem Tag genau ist deine Hochzeit?«
Ich sagte es ihr.
»Nun« – Fanny tat so, als müsse sie nachdenken –, »ich hatte an dem Wochenende eigentlich schon was vor. Weißt du, mein neuer Freund geht viel mit mir aus, auf College-Feten und so.
Vielleicht kann ich alles verschieben. Wird es eine vornehme Hochzeit?«
»Das kann man wohl sagen!«
»Hast du vor, deiner lieben Schwester ein vornehmes, teures Kleid zu kaufen? Und fährst du mit mir in die Stadt, um es auszusuchen?«
»Ja.«
Sie dachte einen Augenblick lang nach.
»Kann ich Randall Wilcox mitbringen?« fragte sie. »Du weißt vielleicht schon, daß wir zusammen sind. Weißt du, er sieht im Frack einfach umwerfend aus. Die Männer kommen doch im Frack, oder?«
»Ja, Fanny, wenn du es gern möchtest. Ich schicke ihm eine Einladung.«
»Ja, das möchte ich gern«, sagte sie.
Und so wurde es gemacht.
Meine Einladung an Pa war die letzte, die ich losschickte. Ich ging den Bergpfad ein bißchen früher hinunter als gewöhnlich, so daß ich es vor meinem letzten Unterrichtstag noch schaffte, auf die Post zu gehen. Ich glaube, ich war genauso aufgeregt wie damals, als ich mich auf den Weg machte, um das erste Mal vor den Schülern zu stehen. Als ich mein Klassenzimmer betrat, schauten mich die Kinder erwartungsvoll an. Selbst diejenigen, die sonst traurig und müde aussahen, wirkten an diesem Morgen frisch und fröhlich. Ich merkte, daß sie einen Plan hatten.
Patricia Coons meldete sich.
»Ich habe etwas für Sie, Miss Casteel«, erklärte sie schüchtern.
»Ja?«
Patricia stand langsam auf und kam nach vorn, stolz darauf, die Vertreterin der Klasse zu sein. Sie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und biß auf ihre bereits abgekauten Nägel.
»Wir wollen Ihnen dies hier geben, bevor Sie all die anderen Hochzeitsgeschenke kriegen«, sagte sie. »Das ist von uns allen«, fügte sie hinzu, als sie mir ein Päckchen überreichte, das in feines blaues Papier eingewickelt und mit einer rosa Schleife verziert war. »Wir haben das Papier bei Ihrem Verlobten, ich meine, bei Mr. Stonewall, gekauft«, sagte sie und lachte.
»Danke. Euch allen vielen Dank!«
Ich wickelte das Päckchen aus. Zum Vorschein kam ein wunderschön gearbeitetes Stickbild in einem üppigen Eichenrahmen. Es zeigte meine Hütte in den Willies und trug den Spruch:
TRAUTES HEIM, GLÜCK ALLEIN.
ALLES GUTE, IHRE KLASSE
Für einen Augenblick
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