Gebrochene Versprechen
einem Augenblick der Verblüffung zog der Lieutenant sie mit Armen wie Stahlbänder an sich. Unter seinem Taucheranzug blieben die beeindruckenden Ausmaße seines Körpers nicht verborgen: die breite Brust, die schmale Taille, die wie aus Stein gemeißelten Oberschenkel. Hannah erfuhr zum ersten Mal im Leben, was es hieß, zierlich zu sein. Allmählich hörte sie auf zu bibbern. »Alles klar«, sagte sie und zwang sich loszulassen.
Doch er hielt sie fest. Sie seufzte und erschlaffte. Nach der Isolation der vergangenen Wochen hungerte sie nach menschlicher Nähe. Sie schloss die Augen, sein gleichmäßiger Herzschlag lullte sie ein.
»Die Patrouille kommt«, meldete Westy.
Ohne seine Umarmung zu lösen, begrüßte der Lieutenant das herannahende Gefährt mit einem speziellen Signalgeber. Das größere Boot ging mit kaum hörbarem Motor längsseits. Dann half Lindstrom ihr auf eine Leiter, die zu ihnen heruntergelassen wurde.
An Bord des größeren Boots war es stockdunkel. Hannah klammerte sich in der Dunkelheit auf dem ganzen Weg zum Marinestützpunkt Guantanamo Bay an den SEAL, zum Teil über ihr Anlehnungsbedürfnis entsetzt, zum Teil in der Gewissheit, dass er sie verstehen würde.
U.S. Marinestützpunkt Guantanamo Bay
19. September, 09 Uhr 19
Luther gab es auf, weiter an Hannahs Tür zu klopfen, drückte stattdessen ein Ohr dagegen und lauschte. Vielleicht war sie gar nicht da drin.
Sie hatten in Guantanamo weit nach vier Uhr morgens Einzelzimmer bezogen. Wenn man bedachte, wie erledigt die Frau war, mochte sie gut und gern noch einmal zehn Stunden schlafen. Doch da ihr Flug nach CONUS – Continental US oder Kontinentalamerika – in gerade mal zwei Stunden ging, mussten sie sich allmählich darauf vorbereiten.
Aus der Stille in ihrem Zimmer schloss er, dass sie schon auf den Beinen war. Also eilte er mehr als nur ein bisschen besorgt in die Empfangshalle. Durch die Flügeltür aus Glas im hinteren Teil des Gebäudes entdeckte er sie dann, sie saß Westy am Außenpool gegenüber.
Die Szenerie mit dem Pool und dem bunten Sonnenschirm vor dem Hintergrund des Karibischen Meers wirkte wie ein Blatt aus einem Bademodenkalender. So, wie sie da unter dem Sonnenschirm saß, hätte Hannah gut als Model durchgehen können, bloß dass sie anstelle eines Badeanzugs ein pfirsichfarbenes Strandkleid und Sandalen trug, die Westy ihr im Souvenirladen gekauft haben musste.
In der vergangenen Nacht hatte sie in dreckigen Klamotten gesteckt und war pudelnass gewesen. Luther hatte sie fast eine Stunde lang in den Armen gehalten, wobei ein Teil von ihm sich der Tatsache sehr bewusst gewesen war, dass sie sich trotz des Schmutzes hundertprozentig wie eine Frau anfühlte. Sie hatte sich auf typisch weibliche Weise an ihn geklammert, sodass er, obwohl sich nicht alles so reibungslos abgespielt hatte wie geplant, mit seinem Einsatz zufrieden gewesen war.
Bei ihrer Ankunft in Guantanamo hatte er sie im grellen Schein künstlichen Lichts gesehen – eine große, schlaksige Frau mit verfilzten Haaren und einem mit Dreck und getrocknetem Blut verschmierten Gesicht. Sie hatte dermaßen erschöpft gewirkt, dass ihm schon durch den Kopf gegangen war, er müsse sie baden und ins Bett stecken, doch sie hatte ihm höflich die Tür vor der Nase zugeschlagen und dergleichen damit erledigt.
Offenbar hatte sie die Kraft gefunden, sich gründlich zu schrubben, und – um einen Begriff zu verwenden, bei dem seine Mutter wegen seiner mangelhaften Ausdrucksweise immer zusammenzuckte – sich verdammt gut aufgemöbelt.
Von Neugier getrieben schob sich Luther durch die Türflügel, um einen besseren Blick zu haben.
Ihr frisch gewaschenes Haar war kirschrot, der freche Kurzhaarschnitt gab ihren Hals frei. Als sie nun den Kopf in seine Richtung drehte, musste er sich zusammenreißen, damit er nicht über seine eigenen Füße stolperte.
Grüne Augen waren aus einem Gesicht auf ihn gerichtet, das ihm, obwohl es von Sommersprossen übersät war, wie durchsichtig vorkam. Ihre Augenbrauen hatten Schwung, die Nase war schmal, aber kräftig, der Mund breit und selbst ohne Lippenstift rosig.
Die Erkenntnis traf ihn und raubte ihm den Atem, woraufhin Luther ein Anflug von Ärger überkam. Er wollte sich nicht zu Hannah Geary hingezogen fühlen, die mit Sicherheit das komplette Gegenteil der unkomplizierten Frau war, die er suchte. Doch nun hatte er sie mindestens so lange am Hals, bis die Anklage gegen Jaguar fallen gelassen werden würde.
Ganz der
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