Gebrochene Versprechen
Hannah ging.
Es war, als würde seine Zukunft – das neue Leben, das er sich mit ihr auszumalen begonnen hatte – nun an einem seidenen Faden hängen.
17
Städtisches Krankenhaus Virginia Beach
2. Oktober, 10 Uhr 18
Sogar mit geschlossenen Augen konnte Hannah das Sonnenlicht, das durch das Fenster ihres Krankenzimmers hereinfiel, spüren. Allmählich kam sie wieder zu Bewusstsein und drehte ganz langsam den Kopf, um den pochenden Schmerz in ihrer Schläfe nicht zu verschlimmern. Der fest um ihre Stirn gewickelte Verband schien es nicht gerade besser zu machen. Abgesehen von einem Dröhnen in ihren Ohren vernahm sie die Geräusche der Krankenhausangestellten, die sich geschäftig um ihre Patienten kümmerten. Vermutlich war es Vormittag, was bedeutete, dass der zweite Tag von Jaguars Gerichtsverhandlung bereits angefangen hatte.
Der Gedanke daran ließ sie die Augen aufschlagen. Ihr fiel sofort auf, dass der Stuhl, den Luther an ihr Bett geschoben hatte, nun wieder verwaist in seiner Ecke des etwas steril wirkenden Krankenzimmers stand. Er war von dem Moment an, da die Sanitäter sie wieder zu Bewusstsein gebracht hatten, bis in die frühen Morgenstunden, als man sie endlich hatte schlafen lassen, bei ihr geblieben. Seine Gegenwart war sehr beruhigend gewesen und hatte das ganze Prozedere fast erträglich gemacht. Zunächst war sie von einem der medizinisch-technischen Assistenten geröntgt worden, anschließend hatte ein Arzt ihr in die Augen geleuchtet und ihr Fragen gestellt, während eine Krankenschwester tierisch brennende Lösungen in ihre Kopfwunde träufelte. Dann konnte sie sich an Polizisten vor ihrer Zimmertür erinnern, die unbedingt mit ihr hatten sprechen wollen. Gott sei Dank war Luther dagewesen, um sie mit ihren Fragen abzuwimmeln und sie sogar als nächtliche Türwachen einzusetzen.
Als Hannah schließlich endlich erlaubt worden war, zu schlafen, hatte sich Luther über die Besuchsregelungen hinweggesetzt und war bei ihr geblieben, ohne vom Personal aufgefordert zu werden, zu gehen. Er hatte den Lehnstuhl an ihr Bett geschoben und sich zu ihr gesetzt, während sie langsam eingeschlafen war, in Gedanken bei ihrer Unterredung vor der Schießerei. Er hatte aufrichtige Worte gefunden und gesagt, sie sei umwerfend, dass er sein Leben mit ihr verbringen wolle. Und als er wie ein geduldiger Schutzengel an ihrem Bett gesessen hatte, war zu spüren gewesen, dass er auf eine Antwort von ihr wartete.
Nun, in diesem Augenblick, wohnte er wahrscheinlich der Verhandlung bei und verteidigte gerade Jaguars Unschuld. Er sah es als seine Pflicht an, seine Kameraden zu unterstützen, und konnte seine Zeit nicht mit einer Frau vergeuden, die sich zu Größerem berufen fühlte, als mit ihm gemeinsam eine Familie zu gründen. Doch das Gefühl der Einsamkeit, das sie nun überkam, schnürte ihr regelrecht die Kehle zu.
Und der Einsamkeit folgte Angst. War sie überhaupt sicher, wenn Luther nicht bei ihr war? Doch dann fiel ihr wieder ein, dass die Polizei sowie Galworth und Stone vor ihrer Tür Wache hielten. Mehr noch, einem Anruf zufolge, der Luther während ihrer Untersuchungen auf dem Handy erreicht hatte, war Tanya Obradovic inzwischen festgenommen worden.
Hannah schlug die Decke zurück, da sie ihre volle Blase aus dem Bett trieb, und stellte fest, dass ihr Kopf im Sitzen weit weniger wehtat als noch im Liegen. Erleichtert setzte sie die Füße auf den Boden. Auf dem Korridor konnte sie die Leibwächter ihres Onkels über eine Bemerkung des wachhabenden Polizisten kichern hören.
Die Beamten würden sie an diesem Morgen vernehmen wollen. Und da sie die Männer nicht im Krankenhaushemd empfangen wollte, suchte sie nach ihren Klamotten. Sie fand ihren gelben Hosenanzug in dem kleinen Spind neben ihrem Bett und nahm ihn mit ins Bad. Nach einer belebenden Dusche zog sie sich an und stellte staunend fest, dass ihre Kleidung kaum in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Die Anstrengung hatte sie einige Kraft gekostet. Noch etwas wackelig auf den Beinen trat Hannah nun aus dem Bad und blieb wie angewurzelt stehen. In ihrem Zimmer stand ein Mann, der sich umdrehte, als er sie bemerkte, und sie mit sorgenvoller Miene ansah. »Hannah, mein Mädchen.«
»Onkel Caleb. Was machst du denn hier?«
Er blickte auf ihren Verband und schüttelte schuldbewusst den Kopf. »Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass du mit diesen SEALs mitgehst, nicht einmal mit meinen Leibwächtern als Aufpasser im Schlepptau. Die habe ich
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