Geburtstag in Florenz
Bewährung verschaffen, egal, wie das Urteil ausfiel, und zwar wegen des kleinen Mädchens. Man hatte sich nach langem Hin und Her darauf geeinigt, daß das Kind nicht auszusagen brauchte. Das war immerhin etwas. Zwar hatte man sie verhört und ihre Antworten aufgezeichnet, aber wäre sie vorgeladen worden, dann hätte sie mit ihren zehn Jahren unweigerlich verstanden, daß sie in einem Mordprozeß gegen ihre eigene Mutter aussagte.
Der Maresciallo hatte das Kind in den letzten Wochen zweimal besucht. Die Großmutter schickte das Mädchen nicht mehr zur Schule. Das hatte natürlich Ärger gegeben, doch er konnte es ihr kaum verdenken. Die einzige Lösung wäre wohl, die Kleine, wenn alles vorüber war, in eine andere Schule zu schicken.
Mein Gott, war das eine Hitze! Giorgettis Anwalt war klein, dick und polterig, und sein Gesicht glühte wie eine Pfingstrose über der verrutschten weißen Halsbinde.
»Spricht irgend etwas für die These, daß Anna Maria Giorgetti – Verzeihung, Chiara Giorgetti sich der Verletzten ganz einfach entledigen wollte? Wenn es so gewesen wäre, warum machte sie dann – und zwar aus eigenem Antrieb – den ersten Anruf bei der Polizei? Einen Anruf, der sie leicht hätte belasten können, ja, der sie belastet hat! Gleichwohl entschloß sie sich zu diesem Anruf, ganz allein, aus eigenem Impuls und gegen den Widerstand von …«
Warum zum Teufel konnte er ihre Namen nicht behalten? Der Prozeß dauerte doch inzwischen lange genug. War er nur ein schlechter Redner, oder hatte auch er Probleme mit dem neuen System?
»Von … Mario Saverino. Sie haben sich geirrt, waren ahnungslos – ahnungslos, was die Folgen ihres Tuns betraf, und warum? Weil sie eben nicht wußten, ja gar nicht wissen konnten, wie schwer die Grazzini verletzt war. Bitte, sagen Sie uns, Professor Forli: Hätte ein Laie überhaupt erkennen können, daß eine innere Blutung eingesetzt hatte?«
»Das würde ich bezweifeln.«
»Es gibt dafür also keine – sagen wir äußeren Anzeichen?«
»O doch …«
»Aber keine, die eine so unerfahrene Person wie Chiara Giorgetti oder meinetwegen auch ich zu deuten wüßte?«
»Ich fürchte, nein, außer …« Der Pathologe warf einen Blick zum Richtertisch und entschloß sich dann fortzufahren: »Außer, daß in diesem Fall einer der Beteiligten die Verletzung verursacht hatte und wohl kaum annehmen konnte, daß ein derart heftiger Schlag in den Unterleib folgenlos bleiben würde.«
Sehr verärgert, aber dennoch außerstande zu parieren, wühlte der Anwalt in seinen Notizen und versuchte dem Richter darzulegen, daß der verhängnisvolle Schlag hier nicht zur Debatte stünde, ja bereits erwiesen sei, daß seine Mandantin – deren Name ihm gerade noch rechtzeitig einfiel – nicht diejenige gewesen sei … »Ja, ja, das ist uns hinreichend bekannt. Können wir dann fortfahren?«
»Keine weiteren Fragen.«
Der Maresciallo wollte sich schon erheben, aber nach kurzem Flüstern hin und her hatte es den Anschein, als wolle Chiara Giorgetti sich in eigener Sache äußern. Nun, viel schlechter als ihr Anwalt konnte sie sich wohl auch nicht vertreten. Und da setzte sie sich auch schon auf den roten Plastikstuhl, die Augen fest auf den Richter geheftet. Zwei Carabinieri nahmen hinter ihr Aufstellung. Giorgettis schwarze Haare waren im Gefängnis gewachsen und hingen ihr strähnig um den Kopf. Aber abgenommen hatte sie bestimmt nicht, denn sie wirkte so unförmig wie eh und je in dem rotgrünen Glitzerpullover. Der Maresciallo erinnerte sich, daß sie den oder einen ganz ähnlichen auch bei der Festnahme getragen hatte, einen Festtagspulli für den Heiligabend.
»Signora Giorgetti, in welchem Verhältnis standen Sie zu der verstorbenen Anna Maria Grazzini?«
Der Staatsanwalt führt das Kreuzverhör, aber sie sah trotzdem immer nur den Richter an.
»Wir waren nicht verwandt …« Ihre laute Stimme wurde schwächer, als sie merkte, wie stark sie durchs Mikrophon dröhnte, das sie mit ihrer kratzigen Röhre gar nicht gebraucht hätte. Tatsächlich machte sie Miene, davon wegzurücken, traute sich dann aber doch nicht.
»Dem Gericht ist bekannt, daß keine Blutsverwandtschaft vorliegt. Bitte schildern Sie uns, wie gut Sie sie kannten, welche Rolle sie in Ihrem Leben spielte, in welchem Verhältnis Sie zueinander standen.«
»Sie hatte ein Verhältnis mit Antonio.«
Man sah gleich, daß sie sich nicht für die Fragen des Staatsanwalts interessierte. Und sie beantwortete sie so lässig,
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