Geburtstag in Florenz
ihnen die Fenster einschmeißt und lauter solche Sachen. Sie brüllte und keifte stundenlang, und dann klappte sie auf einmal zusammen und fing an zu heulen. Der Wirt mußte nach Antonio schicken, damit der sie holt, und Antonio hatte solche Mühe mit ihr, daß er oft grün und blau war, bis er sie endlich zu Hause hatte.
Vor dem Unfall war sie ganz anders, aber daß sie zum Doktor geht, das hat er trotzdem nicht geschafft.«
»Und an dem fraglichen Abend: War sie da ausfallend, oder hatte sie schon das depressive Stadium erreicht?«
»Sie hat rumgebrüllt wie verrückt.«
»Also war sie ausfallend?«
»Sie hat geschrien, und nach Antonio hat sie sogar getreten, weil sie nicht wollte, daß er uns Fiammetta mitnehmen läßt.«
»Hat sie einen Grund dafür genannt?«
»Fiammetta könne auch Weihnachten bei ihr verbringen, hat sie gesagt, wenn ihr Haus das ganze Jahr hindurch gut genug für sie sei.«
»Und das schien Ihnen Grund genug, sie zu schlagen?«
»Niemand hat sie geschlagen! Sie war’s, die um sich gehauen hat – und damit wir Fiammetta nicht mitnehmen konnten, hatte sie ihre Kleider versteckt.«
»Was denn, all ihre Sachen?«
»Das, was sie hätte anziehen sollen. Die Sachen, die ich ihr gekauft hatte – einen rosa Trainingsanzug, in den sie ganz vernarrt war. Eigentlich sollte sie den zu Weihnachten kriegen, aber ich hatte ihn Antonio schon vorher gegeben, damit sie ihn anziehen konnte, wenn sie mit zu uns kam. Und diese Schlampe hatte ihn versteckt – oder weggeschmissen. Jedenfalls haben wir ihn nicht wiedergefunden.«
»Hatten Sie denn gar kein Verständnis dafür, daß es zu gewissen Reibereien kam, wenn Anna Maria Grazzini, die Ihre Tochter in der Tat das ganze Jahr über betreute, Ihnen das Kind zu Weihnachten plötzlich abtreten sollte?«
»Weihnachten? Was für ein Weihnachten hätte sie denn dort gehabt? Da war doch nirgends eine Kerze oder auch nur ein bißchen Lametta aufgehängt. Die Wohnung war ein Saustall, und die Frau hatte nicht mal was zum Essen eingekauft. Darum war Antonio ja auch auf unserer Seite. Wie hätte er das Kind in so einem Dreckloch lassen können!«
»Nun gut, aber wie wir gehört haben, kam es nicht oft zu solchen Szenen, und es bleibt die Tatsache, daß die Grazzini sich um Ihre Tochter gekümmert hat.«
»Was denn, das nennen Sie kümmern? Herrgott noch mal, es war neun Uhr, und das Kind hatte noch nicht mal was zu essen gekriegt!«
Der Staatsanwalt entspannte sich und wartete schweigend, bis auch der letzte es begriffen hatte. Erst sah es so aus, als ob Chiara die einzige im Saal wäre, die nicht merkte, was sie angerichtet hatte. Dann zischte Saverinos Stimme hinter den Gitterstäben seines Käfigs hervor.
»Blöde Kuh!« herrschte er sie an.
In panischer Angst riß sie den Kopf herum, und als sie die Siegerpose des Staatsanwalts erblickte, verzog sich ihr Gesicht, und sie gab ein furchtsames Winseln von sich.
Ihr Anwalt erhob sich, röter und nervöser denn je, und bat um die Erlaubnis, sich mit seiner Mandantin zu beraten, was ihm auch gestattet wurde.
Während der nun folgenden Unterbrechung hörte der Maresciallo, wie jemand hereinkam und auf der Pressebank Platz nahm. Galli von der Nazione. Merkwürdig, war eigentlich nicht seine Kragenweite, dieser Prozeß. Er interessierte sich sonst nur für größere Fälle. Außerdem war schon ein Reporter von der Nazione da, ein sehr viel jüngerer Mann. Galli, der eben seinen langen grünen Lodenmantel auszog, war wie immer tadellos gekleidet und sah aus, als käme er frisch vom Friseur. Gut möglich, daß es so war. Was sollte denn das? Galli machte quer durch den Saal Zeichen, aber es blieb keine Zeit festzustellen, wem sie galten und warum, denn just in dem Moment wurde der Maresciallo aufgerufen.
Er hatte kein ungutes Gefühl, als er auf dem roten Plastikstuhl Platz nahm, der allerdings viel zu klein war für ihn. Der Staatsanwalt bildete sich jetzt bestimmt ein, er hätte Chiara ausgetrickst und sie dazu verleitet, die Uhrzeit preiszugeben. Dabei hatte er sie in Wirklichkeit nur als Rabenmutter vorführen wollen, um zu beweisen, daß kein Grund bestand, ihr, im Interesse des Kindes, ein leichteres Strafmaß zuzubilligen. Das Geständnis war eine reine Gratisdreingabe und weit eher Chiaras Unbeherrschtheit zu verdanken als dem taktischen Geschick des Anklägers … Abgesehen von einem leichten Augenjucken und einer gewissen Benommenheit nach der schlaflosen Nacht, fühlte der Maresciallo sich stark
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