Geburtstag in Florenz
Chiara sich mit der Uhrzeit verplapperte. Der Maresciallo wollte nicht, daß Chiara ins Gefängnis kam, doch er war mit dem Richter der Meinung, man solle sich an die Fakten halten und dann entscheiden. Der kleine Verteidiger lief schon wieder ganz rot an, und es war klar, daß er auf seiner These beharren würde, einfach weil er kein zweites Konzept parat hatte.
»Aber geht denn nicht aus ihrer Handlungsweise hervor, daraus, daß sie, die sonst nie die Initiative zu ergreifen pflegte, dies plötzlich doch tat, geht daraus nicht hervor, daß sie als einzige von den dreien Anteilnahme empfand?«
»Sie hatte nur von allen die meiste Angst. Und auf mich ist sie gekommen, weil ich ihr schon einmal aus der Patsche geholfen hatte.«
»Erlauben Sie, Maresciallo, aber das ist doch wohl jetzt Ihr persönlicher Eindruck.«
»Bitte um Verzeihung. Ich dachte, danach hätten Sie gefragt, nach meinem persönlichen Eindruck. Jedenfalls, Angst hatte sie, daran besteht kein Zweifel. Als ich in die Wohnung kam, war sie regelrecht hysterisch. Aber nach eigener Aussage hat sie die 112 deshalb nicht angerufen, weil sie und die beiden anderen dann vielleicht aufgegriffen worden wären, bevor sie nach Hause zurückkonnten. Ist im Protokoll nachzulesen. Davor fürchtete sie sich, und außerdem hatte sie Angst, daß die Grazzini sterben und sie Saverino verlieren könnte.«
»Maresciallo, das sind doch wieder nur lauter Vermutungen, oder?«
»Nein. Das steht so im Protokoll ihrer Aussage.« Voller Wut wechselte der Anwalt das Thema.
»War Signora Grazzini noch am Leben, als Sie ans Tor kamen?«
»Ich war mir nicht sicher … ich dachte zuerst schon …«
Der Maresciallo stockte, weil ihm sein Traum einfiel und er darauf gefaßt war, daß der Staatsanwalt gleich aufspringen und ihm ein »Sie dachten?« entgegenschleudern würde. Aber der Staatsanwalt war ganz in eine im Flüsterton geführte Beratung mit seinem Assistenten vertieft.
»Welche Vorkehrungen haben Sie getroffen?«
»Ich holte eine Decke und legte sie ihr über. Sie war schwer verletzt, deshalb hielten wir es nicht für ratsam, sie zu bewegen. Ich habe allerdings versucht, ihren Puls zu ertasten.«
»Und sie gab kein Lebenszeichen von sich? Irgendeinen Laut, ein Stöhnen vielleicht?«
»Nein, gar nichts. Als der Krankenwagen kam und sie abholte, bin ich mit einem meiner Männer hinterhergefahren. Bei der Ankunft in der Klinik konnte man nur noch ihren Tod feststellen.«
»Noch eine letzte Frage. Sie kennen meine Mandantin gut und bescheinigen ihr einen schwachen Charakter. Würden Sie sagen, daß ihr Verhalten sehr stark davon abhängt, unter wessen Einfluß sie steht?«
»Jawohl.«
»Und würden Sie Saverinos Einfluß für positiv halten oder eher für negativ?«
»Letzteres.«
Das würde Chiara ihrem Anwalt bestimmt nicht danken. Wenn er sie auf Saverinos Kosten rauspaukte, dann würde irgendwann der Tag der Abrechnung kommen. Man konnte ihn ja nicht ewig einsperren.
»Keine weiteren Fragen.«
»Damit ist die heutige Verhandlung geschlossen.«
Der Maresciallo war zwar froh, daß er nicht länger auf dem unbequemen kleinen Stühlchen kauern mußte, aber andererseits hatte er gehofft, das ganze an einem Tag hinter sich zu bringen. Nun würde man ihn zur Verhaftung noch einmal gesondert vernehmen. Uff! Früher, in der guten alten Zeit, hieß es einfach: Bestätigen Sie Ihren schriftlichen Bericht, danke und auf Wiedersehen. Er sah noch, wie man Chiara abführte, und wandte sich dann dem Ausgang zu.
»Maresciallo!«
Er roch das Parfüm, bevor er den Rufer entdeckte.
»Galli! Es überrascht mich, daß Sie sich mit so was abgeben.«
»Sie Witzbold!« Galli schlüpfte in seinen grünen Lodenmantel und betastete prüfend sein hochgeföntes schwarzes Haar. Er sah eigentlich nicht besonders gut aus, und wie der Maresciallo litt auch er an Übergewicht, aber dafür war er so gepflegt wie eine sündhaft teure Katze mit Stammbaum, und seine Frau, die der Maresciallo bei irgendeinem offiziellen Anlaß einmal von weitem gesehen hatte, war ein Superweib. Mit langer Mähne und endlos langen Beinen wie ein Fotomodell.
»Ich bin hier, weil ich Sie sprechen wollte. Als ich in Ihrem Büro anrief, sagte man mir, daß Sie bei Gericht sind. Es geht um Forbes.«
7
Der Maresciallo knöpfte seinen Überzieher zu und setzte die Brille auf, bevor sie aus dem prunkvollen Barockportal traten und die Sonne ihn blenden konnte.
»Letzte Nacht war’s fünf Grad unter Null«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher