Geburtstag in Florenz
wie einen Selbstmord aussehen zu lassen?«
»So ungefähr, ja. Aber natürlich weiß ich nicht allzuviel über die näheren Umstände ihres Todes.«
»Die kennt niemand genau.« Der Maresciallo runzelte die Stirn. »Fest steht nur, daß keinerlei Indizien auf Selbstmord hindeuten. Aber falls es mir nicht gelingt herauszubekommen, was Weihnachten vorgefallen ist …«
»Richtig. Aber an Weihnachten kommt, wie gesagt, mit Vorliebe alles mögliche hoch, werden Krisensituationen forciert. Mithin könnte das Problem der Frau schon seit geraumer Zeit bestanden haben.«
»Ja …« Der Maresciallo spielte mit dem Gedanken, ihm von Forbes und seiner Mary-Mancini-Geschichte zu erzählen. Vermutlich würde das dem Pater nicht gefallen, denn Mary Mancini war anscheinend eines seiner treuesten Gemeindemitglieder, und außerdem sah es ja auch ganz so aus, als sei an der Sache nichts Wahres dran. Er beschloß, sich auf Andeutungen zu beschränken.
»Möglicherweise gab’s da andere Frauen – Forbes, ihr Mann, hat mir das selbst erzählt –, und es könnte durchaus sein, daß er es ihr an Weihnachten gesagt hat.«
Der alte Priester antwortete nicht gleich. Er senkte den Blick auf das winzige Glas und drehte es langsam zwischen den pergamentenen Fingern. »Ja, nun … so etwas würde natürlich großes Leid auslösen …«
»Aber keine solche Verzweiflung, wie Celia Carter sie empfand?«
»Ich bin sicher, das war nicht der Grund. Nein, nein! Nein, Maresciallo, damit hatte es überhaupt nichts zu tun. Erinnern Sie sich, daß sie zu mir von ihrer Scham sprach? Aber sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, denn sie hatte ja, ihrem Gefühl nach, nichts zu beichten. Nein, es muß um etwas viel Schlimmeres gegangen sein …. Aber lassen Sie mich zu Ende erzählen. Als ich sah, wie erschöpft sie war, sammelte ich ihre Pakete ein und half ihr auf.
Während wir durch den Mittelgang der Kathedrale zum Portal zurückgingen, spürte ich, wie sehr sie vor der Begegnung mit der Außenwelt zurückschreckte. Und sie konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Der Organist hatte mit den Proben für die Mitternachtsmesse begonnen und spielte gerade etwas aus dem Messias. Ich weiß zwar nicht mehr genau, was es war, aber mir fiel dabei ein Vers ein – Sie kennen ihn bestimmt – Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen … Auch Celia Carter, Gott hab sie selig, war schmerzbeladen. Aber der Quell all ihres Kummers, Maresciallo, war die Tochter. Ja, bis ich heute morgen mit Mary Price Mancini darüber sprach, hatte ich sogar den Eindruck, daß das Mädchen tot sei, vielleicht ein tragischer Drogenfall oder etwas Ähnliches.
Endlich erreichten wir den Ausgang, und ich wollte ihr schon die Pakete wiedergeben, als sie abermals zusammenbrach. Sie konnte sich nicht überwinden, die Sachen anzurühren – dadurch kam ich auf den Gedanken, ihr Kind sei tot, verstehen Sie?
›Ich habe ihr alles gekauft … ich kaufte – Sachen, die sie sich wünschte, alles, wovon ich glaubte, es könne ihr … Ach Gott, ich will nicht nach Hause!‹ Sie nahm sich zusammen, so gut es ging, aber die Weihnachtseinkäufe mochte sie nicht zurücknehmen, sondern bestand darauf, daß ich sie behielt und an diejenigen meiner Pfarrkinder verteilte, die meiner Meinung nach zu Weihnachten einer kleinen Extrafreude bedürften. Plötzlich versuchte sie zu lachen, gerade so, als wolle sie sich über sich selbst lustig machen. ›Sogar einen Baum habe ich gekauft …‹ Aber dabei weinte sie. Ihre letzten Worte waren: ›Ich will mein kleines Mädchen wiederhaben! Alles andere könnte ich ertragen, aber das nicht. Ich will mein kleines Mädchen wiederhaben!‹ Sie schob sich durch die Seitenpforte, die gleich wieder hinter ihr zuschlug. Ich folgte ihr, so rasch es meine rheumatischen Beine erlaubten, aber als ich auf die Stufen vor der Kathedrale hinaustrat, war sie schon im Gedränge der Weihnachtskundschaft verschwunden. Irgendwo in diesem regen Treiben, der Fröhlichkeit und dem weihnachtlichen Lichterglanz, der den dämmerigen Nachmittag erhellte, irrte ein guter Mensch umher, eine Frau, von der ich nicht einmal den Namen wußte, sondern nur, daß ihre Seele schmerzbeladen war.
Wir können so wenig füreinander tun, Maresciallo, so herzlich wenig. Aber ich betete mit ihr am Heiligabend, und heute nacht werde ich wieder neben ihr beten. So wird sie wenigstens nicht allein sein. Darum bat ich Sie auch hierher, obwohl es gewiß hart war, Sie an
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