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Geburtstag in Florenz

Geburtstag in Florenz

Titel: Geburtstag in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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all den Jahren noch an eins davon?‹ ›Nur an ein einziges. Aus der Tiefe … rufe ich … zu dir …‹ ›Das De profundis?‹ Für ein kleines Kind schien mir das eine seltsame Wahl. ›Es ist wunderschön. Ein Bußpsalm. Wollen wir ihn jetzt gemeinsam sprechen?‹ ›Ich habe nicht viel davon behalten …‹ Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.
    Herr, höre meine Stimme, laß deine Ohren vernehmen die Stimme meines Flehens!
    So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen?
    Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte.
    Ich harre des Herrn; meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.
    Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur anderen.
    Israel, hoffe auf den Herrn! Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm, und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.
    Als ich mit dem Gebet zu Ende war, sah ich, daß ihr Atem langsam und regelmäßig ging und daß sie auch wieder Farbe bekam.
    ›Ich hatte es nicht vergessen. Ich dachte, es wäre mir entfallen, aber während Sie das Gebet sprachen, ist es mir Satz für Satz wieder eingefallen. Ich danke Ihnen. Er war so ein guter Mensch, mein Vater. Glauben Sie, daß sie wirklich etwas bedeutet, die Floskel, die immer bemüht wird – im Zustand geistiger Umnachtung?‹ Dann erzählte sie es mir, und ich begriff, wovor sie sich fürchtete. Sie hatte Angst vor dem Schmerz, jenem unerträglichen, leidvollen Schmerz, der ihren Vater in den Selbstmord getrieben hatte. Sie erzählte mir alles über die Krankheit ihrer Mutter – sie kann damals nicht älter als acht oder neun Jahre alt gewesen sein –, eine schreckliche Form von Krebs, die ihr Gesicht dermaßen entstellte, daß sie das Kind gegen Ende nicht mehr zu sich lassen wollte.
    ›Sie wollte mich nicht erschrecken, und vor allem wollte sie nicht so in meiner Erinnerung weiterleben.‹ Sie wußte instinktiv, daß ihr Vater ihrer Mutter irgendwie zum Sterben verholfen hatte.
    ›Habe ich die geflüsterten Gespräche zwischen ihm und seiner Schwester belauscht? Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Ich habe die Morphiumzäpfchen nie gesehen, die die Pflegerin jeden Tag daließ, und doch war mir bewußt, daß sie da waren, und ich spürte den Schrecken, den sie hervorriefen, eine elend kalte, panische Angst im Bauch.‹ Ihr Vater hatte seine Frau noch nicht einmal um ein Jahr überlebt.
    ›Er nahm Schlaftabletten. Man sagt, das sei eine weibliche Suizidmethode, aber er zog sich obendrein noch eine Plastiktüte über den Kopf, um ganz sicherzugehen.‹ Sie war zu jung, als daß sie ihm hätte helfen können, zu jung, um mit ihm zu reden, andererseits aber so sensibel, daß sie sich Vorwürfe machte, weil sie der Situation nicht gewachsen gewesen war.
    ›Es lag nicht nur daran, daß sie ihm fehlte, da bin ich mir ganz sicher. Natürlich fühlte er sich einsam, aber ihre grauenvolle Krankheit, zusammen mit seinen Schuldgefühlen wegen des Morphiums … Ach, ich mache ihm keinen Vorwurf, jetzt nicht mehr.‹ ›Aber sich selbst machen Sie Vorwürfe?‹ ›Ich konnte ihm nicht helfen. Ich war nicht stark genug; nicht wichtig genug für ihn.‹ ›Sie waren nur ein Kind.‹ ›Darum geht es nicht! Das Alter hat nichts damit zu tun. Ich habe ihm nicht geholfen, das ist alles, was zählt. Soll ich Ihnen etwas sagen: Alles, was ich tue, jedes Buch, das ich veröffentliche, jede gute Kritik, jeder Erfolg, sind nur dazu da, meine Schuld bei ihm wiedergutzumachen, ihn zu trösten, ihm etwas zu geben, wofür es sich zu leben lohnt – nur ist er eben tot. Was hat das Ganze also für einen Sinn? Ich habe das noch nie jemandem erzählt, und vielleicht war es mir, bevor ich es jetzt aussprach, nicht einmal bewußt. Ich glaube, darum lebe ich nicht mehr gern in England, wo ich vielleicht immer daran denken müßte.‹ ›Aber irgend etwas hat Sie dazu gebracht, auch hier daran zu denken. War es der eigene Schmerz, der auch Sie in die Idee des Selbstmords flüchten läßt, dieser Schmerz, von dem Sie glauben, daß er übermächtig werden könnte?‹ ›Ja, das … Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme … aber er hat mich nicht gehört! Mein Vater war ein guter Mensch.‹ ›Und trotzdem sind Sie sehr böse auf ihn, ist es nicht so?‹ ›Böse?‹ ›Er hat Sie im Stich gelassen. Und mir kommt es nicht so vor, als ob Sie ihm vergeben hätten. Jetzt sind Sie böse auf mich, nicht wahr? Aber Selbstmord ist eine furchtbare Sünde, und die zu

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