Gedankenmörder (German Edition)
Stallboden, während sie pausenlos miteinander plapperten. Aber auch sie wussten nicht, wo Marie sein könnte. Als Steenhoff in Richtung des künstlich angelegten Teiches ging, stieß er bei den Kaninchenställen fast mit Peter Smidt, dem Farmleiter, zusammen.
«Kann ich Ihnen helfen? Sie sehen aus, als würden Sie jemanden suchen», sagte Smidt freundlich.
«Ich bin der Vater von Marie Steenhoff. Eigentlich hatten wir uns beim Reitstall verabredet», antwortete Steenhoff.
Über das Gesicht des Farmleiters huschte ein flüchtiges Lächeln.
«Ach, die Marie. Das ist Ihre Tochter. Ein nettes Mädchen. Sie hat übrigens viel von Ihnen erzählt.»
Steenhoff fragte sich irritiert, ob Marie etwas von seiner Arbeit und dem aktuellen Fall ausgeplaudert haben könnte. Er nahm sich vor, sie darauf anzusprechen.
Smidt zeigte hinter sich.
«Ihre Tochter ist gerade mit ihrem Freund bei den Ziegen. Ein junger Bock hat sich vor ein paar Tagen verletzt und braucht jetzt viel Pflege.»
Steenhoff spürte einen heißen Stich im Magen. Was hatte der Mann da gerade gesagt? Ihr Freund? Er zwang sich, äußerlich gelassen zu bleiben, und ging in die beschriebene Richtung. Unter einer Kastanie entdeckte er ein Paar, das sich hingebungsvoll küsste und sich dabei eng umschlungen hielt. Die Hand des jungen Mannes wanderte über den Rücken seiner Freundin und blieb schließlich besitzergreifend auf ihrem Po liegen. Empört erkannte Steenhoff, dass es sich bei dem Mädchen um Marie handelte.
‹Zu jung, zu früh›, schoss es ihm durch den Kopf. Am liebsten wäre er dazwischengegangen und hätte den jungen Mann zum Teufel gejagt.
Stattdessen drehte er sich um, ging hinter einen Geräteschuppen und rief laut nach seiner Tochter. Er hatte sich nicht verrechnet. Nach einem kurzen Moment der Stille hörte er, wie sie antwortete.
«Ich bin hier, Papa.»
Sie hatte sich aus der Umarmung gelöst, war von ihrem Freund etwas abgerückt und winkte ihm freudig zu.
Beherrscht ging Steenhoff auf die beiden jungen Leute zu. Steenhoff schätzte den jungen Mann auf 18 , höchstens 20 Jahre. Er war schlaksig und hochgewachsen und wirkte mit seinen feinen, fast mädchenhaften Gesichtszügen sehr empfindsam. Maries Freund lächelte Steenhoff verlegen an, doch Steenhoff beachtete ihn gar nicht und wandte sich sofort an seine Tochter.
«Hallo, mein Schatz. Ich bin früher fertig als gedacht. Wollen wir los?»
«Das ist übrigens Daniel, Papa», stellte Marie den jungen Mann neben ihr höflich vor.
Steenhoff nickte ihm flüchtig zu und wiederholte seine Frage: «Wollen wir?»
Doch Marie blieb hartnäckig. «Daniel ist hier Zivi. Er kennt sich ganz toll mit Tieren aus», sagte Marie anerkennend. ‹Und anscheinend auch mit Mädchen›, dachte sich Steenhoff im Stillen.
Daniel grinste verlegen. Steenhoff fand, dass er dabei unglaublich dümmlich aussah.
«Wir wollten gerade den kleinen Bock mit der Flasche füttern. Das geht besser zu zweit. Danach können wir los», sagte Marie bestimmt. Bevor Steenhoff etwas erwidern konnte, kletterten seine Tochter und der junge Mann über einen niedrigen Zaun ins Gehege der Ziegen. Geschickt fingen die beiden einen jungen Bock ein, der um das linke Hinterbein einen großen Verband trug. Lachend hielt Marie dem Tier eine überdimensionale Nuckelflasche hin, an der es gierig saugte. In derselben Zeit nahm Daniel dem Tier mit wenigen Handgriffen den Verband ab, strich die Wunde mit einer Salbe ein und legte einen frischen Verband an. Als er fertig war, entließ Daniel den Bock mit einem Klaps aus der Behandlung und kletterte wieder über den Zaun.
Einen Moment standen alle drei wortlos nebeneinander. Steenhoff wusste, dass es seine Aufgabe war, Maries Freund eine Brücke zu bauen. Aber alles in ihm sträubte sich, Smalltalk mit jemandem zu machen, der gerade seine Tochter abgeknutscht hatte. Zufrieden registrierte Steenhoff, dass sich Marie nur mit einem Gruß statt mit einem Kuss von ihrem Freund verabschiedete. Es war wohl doch noch nichts Ernstes.
Marie wollte unbedingt im Ostertor essen gehen. Steenhoff ließ ihr die freie Wahl. Seine Tochter entschied sich für Iras Lieblingsitaliener. Das Restaurant lag in einer ruhigen Seitenstraße des belebten Viertels. Als sie beide eine Pizza bestellt hatten, kam Marie sofort zur Sache.
«Papa, warum magst du Daniel nicht?»
«Woraus schließt du das denn schon wieder? Ich kenne den jungen Mann doch gar nicht», sagte Steenhoff überrascht.
«Eben»,
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