Gedankenmörder (German Edition)
Steenhoff.
«Radio Bremen will wegen des neuen Vorfalls in dem Bestattungsinstitut und den anderen Leichenschändungen unbedingt ein Interview mit euch. Lars Diepenau von der Pressestelle sagt, die wollen es schnell. Möglichst bis morgen. Du sollst ihn anrufen.»
Abwehrend hob Steenhoff die Hand. «Dafür habe ich im Augenblick keine Zeit. Sag das den Kollegen.»
Doch Marianne blieb unerbittlich.
«Das musst du denen schon selber erklären, Frank.»
Auf dem Weg in sein Büro ging Steenhoff an Rüttgers halboffener Tür vorbei. Als er sah, dass sein Kollege am Computer saß, ging er kurz hinein. Grußlos kam Rüttger direkt zur Sache.
«Ich habe sowohl das Einbruchsdezernat als auch die Inspektionen abtelefoniert. Keiner weiß etwas über Einbrüche bei Bestattern. Jetzt telefoniere ich noch mit den Kirchen, und dann nehme ich mir mit Block und Wessel jeden Bestatter persönlich vor.»
Steenhoff nickte zustimmend.
In seinem Büro saß Petersen bereits an ihrem Computer und schrieb an dem Bericht über den Bestatter.
«Ich gehe mal rüber zum Staatsschutz. Vielleicht können die einen kühleren Besprechungsraum an uns abtreten», sagte Steenhoff. Petersen schaute hoffnungsvoll von ihrem Computer auf. «Wenn es klappt, gebe ich eine Runde Eis aus.»
Die Staatsschützer saßen im Erdgeschoss eines nach Norden ausgerichteten Gebäudes. Wegen der hohen Bäume davor waren ihre Zimmer selbst im Sommer leicht abgedunkelt und vor allem beneidenswert kühl. Im Flur kam ihm der Staatsanwalt Jens Degert entgegen. Degert war klein von Wuchs, aber wendig und wirkte, als stehe er ständig unter Strom.
Er war für Kapitaldelikte und für politische Straftaten zuständig. Steenhoff kannte ihn seit vielen Jahren als hochengagierten, aber auch anstrengenden Juristen. Oft überschritt er seine Kompetenzen und mischte sich direkt in die Ermittlungen der Polizei ein. Mit seiner Ungeduld und vor allem seiner direkten Art, Kritik zu üben, hatte er sich bei vielen Mordermittlern unbeliebt gemacht. Auch Steenhoff hatte in den vergangenen Jahren schon manch heftigen Streit mit Jens Degert ausgefochten. Doch zugleich schätzte er den Staatsanwalt, der immer erreichbar war und bei aktuellen Mordfällen notfalls ganze Nächte durcharbeitete.
Degert sprach Steenhoff sofort auf die Leichenschändungen an. Sie diskutierten im Flur eine Weile über die ungewöhnlichen Begleitumstände, dann kam Degert auf seinen neusten Fall zu sprechen. Der Vorsitzende einer rechtsradikalen Splitterpartei stand in Verdacht, an einer Rohrbombe zu bauen. Die Staatsschützer waren dem Mann per Zufall auf die Schliche gekommen, als sie nach einem Feuer in einem Flüchtlingsheim, bei dem vor wenigen Wochen hoher Sachschaden entstanden war, mehrere Tatverdächtige per Telefonüberwachung überprüft hatten.
«Bei einem mitgehörten Gespräch ist uns fast die Spucke weggeblieben», sagte Degert und lachte vielsagend. «Unser Parteivorsitzender wurde doch tatsächlich als Experte für Rohrbomben gelobt.»
Sprengstoffhunde hatten bei der anschließenden Hausdurchsuchung in der Speisekammer des Mannes alle notwendigen Materialien für den Bau einer Rohrbombe entdeckt.
Degert fuhr sich mit den Fingern seiner rechten Hand durch das dichte schwarze Haar und strahlte. Steenhoff gönnte ihm den Erfolg und verabschiedete sich.
Der Leiter des Staatsschutzes wirkte zunächst wenig begeistert, als Steenhoff um den leerstehenden Raum für längere Teambesprechungen bat. Schließlich gab er nach. Steenhoff nahm sich vor, bei dem ersten Treffen der Staatsschutzabteilung zum Dank eine Runde Blechkuchen auszugeben.
Zufrieden ging er zurück in sein Büro, erledigte noch ein paar Telefonate und verabschiedete sich am späten Nachmittag von Rüttger.
«Ich gehe heute etwas früher. Ich habe mich mit meiner Tochter zum Essen verabredet.»
Rüttger lachte gutmütig. «Du Glücklicher. Genieß den Abend. Meine Tochter ist schon lange aus dem Haus. Seitdem sie in Marburg studiert, sehe ich sie nur noch ein paar Mal im Jahr.»
Steenhoff setzte sich in seinen Wagen und hielt trotz des Feierabendverkehrs bereits 20 Minuten später an der Jugendfarm. Überrascht stellte er fest, dass er nicht nur pünktlich, sondern sogar eine Viertelstunde zu früh da war. Wider Erwarten war Marie nicht im Reitstall. Scoda, ihr Lieblingspferd, stand gestriegelt und mit frischem Heu versorgt in seiner Box. Suchend sah sich Steenhoff nach seiner Tochter um. Zwei Mädchen fegten den
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