Gedankenmörder (German Edition)
forderte Steenhoff sie auf. «Vielleicht war er selbst einmal länger Patient im Krankenhaus und konnte in dieser Zeit ausspionieren, wie man in die Pathologie kommt?»
«Diese Überlegung hatten wir auch schon», erwiderte Steenhoff. «Aber die Gruppe der möglichen Patienten, die wir überprüfen müssten, ist riesig, denn ‹Sven›, wie er sich am Sterbebett von Birgit Lange auf der Intensivstation genannt hat, kann vor Monaten oder auch schon vor zwei Jahren im Krankenhaus gelegen haben. Wir brauchen noch ein paar mehr Anhaltspunkte, um das Raster nicht zu groß werden zu lassen.»
Er räusperte sich. «Vielleicht ist ‹Sven› auch nur mit einem Pfleger oder Zivildienstleistenden befreundet und hat über diesen Weg erfahren, wie man außerhalb der normalen Zeiten in die Pathologie kommt.»
«Könnte es nicht sein», meldete sich Petersen erstmals zu Wort, «dass das Zusammentreffen von ‹Sven› und Birgit Lange auf der Kreuzung in Schwachhausen rein zufällig war?»
Steenhoff sah, wie Wessel abfällig den Kopf schüttelte. Seit klar war, dass Petersen in ihm nicht mehr als einen Kollegen sah, hatte Wessel Petersen schon einige Male schroff abgekanzelt. Verärgert wollte Steenhoff eingreifen. Ein nüchternes, analytisches Vorgehen war jetzt ebenso wichtig wie Phantasie und Kreativität. Aber er brauchte Petersen nicht beizustehen. Sie hatte Wessels Mienenspiel gar nicht bemerkt.
«Ich meine», nahm sie vorsichtig wieder ihren Faden auf, «er scheint sich doch von Toten sehr angezogen zu fühlen. Alle Zeugen haben den Unfall auf der Kreuzung so beschrieben, dass für sie klar war, dass Birgit Lange lebensgefährlich verletzt war. ‹Sven› fährt kurz nach dem Zusammenprall an der Unfallstelle vorbei, stoppt neugierig sein Auto oder Fahrrad und fühlt sich von der Szene, in der ein Mensch zwischen Leben und Tod schwebt, sofort angezogen. Zumal das Opfer auch noch eine junge Frau ist.»
Petersen hatte sich jetzt warm geredet.
«Andere Menschen müssen ihren Fluchtreflex bekämpfen, wenn sie Zeugen eines solch furchtbaren Unfalls werden, aber er kriecht auch noch zu der Schwerverletzten in das völlig demolierte Auto.» Petersen schaute sich im Kreis ihrer Kollegen um und sagte überzeugt: «Ich glaube, ihr Todeskampf muss auf ihn eine magische Anziehung ausgeübt haben.»
«Und wie kommt er dann, bitte schön, ins Krankenhaus?», hakte Wessel nach. Sein gereizter Ton fiel gleich mehreren auf. Überrascht schauten sie zu Wessel. Steenhoff entschied, seinen Kollegen nach der Besprechung zur Seite zu nehmen. Wessel musste sich zusammenreißen und Privates von Beruflichem trennen.
Petersen tat, als hätte sie den Unterton in Wessels Stimme nicht bemerkt, und antwortete ruhig: «Wir wissen, dass er bereits vor der Schändung von Birgit Langes Leiche eine Frau in der Pathologie des Krankenhauses West für seine perversen Neigungen benutzt hat. Er kannte sich also in dem Gebäude aus. Vermutlich hat er am Unfallort mitbekommen, wohin der Notarzt und die Sanitäter Birgit Lange bringen wollten und ist ihnen einfach gefolgt.»
‹So könnte es tatsächlich gewesen sein›, dachte Steenhoff. Ohne Petersens Gedanken weiter zu kommentieren, machte er sich auf seinem Block ein paar Notizen.
«Ich finde Navidehs Überlegungen interessant», meldete sich Rüttger zu Wort. Dankbar schaute Petersen ihn an.
«Vielleicht haben wir bislang viel zu kompliziert gedacht», fuhr er fort. «Aber, was ich noch nicht begreife, ist, dass unser Täter auf der Intensivstation doch jeden Moment fürchten musste, dass die Eltern des Opfers oder andere von der Polizei benachrichtigte Angehörige auftauchen könnten.»
«Möglicherweise hat er dazu eine Bemerkung der Krankenschwestern aufgeschnappt», mischte sich jetzt ein Beamter ein, mit dem Steenhoff vor vielen Jahren in einem Tötungsdelikt eng zusammengearbeitet hatte.
«Wir sollten die Intensivschwestern noch einmal vernehmen.» Steenhoff nickte zustimmend und notierte sich den Vorschlag. Dann gingen sie den neuen Fall noch einmal minuziös durch und verteilten die Aufgaben. Knapp vier Stunden hatte die erste Besprechung gedauert. Aber niemand wirkte erschöpft. Alle wussten genau, was sie zu tun hatten.
Um 21 Uhr wollten sie sich zu einer weiteren Besprechung im Präsidium treffen. Petersen und Rüttger fuhren noch einmal ins Krankenhaus, um die Intensivschwester zu befragen. Fabian Block wollte sich den Jogger vornehmen, der die Leiche entdeckt hatte. Die
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