Gedenke deiner Taten
der Schule hatte er auf ganzer Linie versagt, war großmäulig und faul gewesen. Er konnte nicht zuhören, wenn vorn an der Tafel jemand über sterbenslangweilige Themen dozierte. Er las nicht gern, denn die Buchstaben fingen vor seinen Augen zu tanzen an. Sie verschwammen, ergaben keinen Sinn. Der Werkunterricht hatte ihn gerettet. Sobald er Hand anlegen und etwas bauen konnte, verschwanden die Unsicherheit und die Nervosität, die ihn sein Leben lang begleitet hatten.
Dean redete sich ein, dass er heute, hätte er die Schule beendet, ein ähnliches Geschäft betreiben würde wie Ronny. Aber nach dem Tod seines Vaters blieb er an Brad und dessen Brüdern hängen. Von da an ging es nur noch bergab. Ein bewaffneter Raubüberfall. Zum Glück war er da noch minderjährig gewesen. Trotzdem musste er in eine Jugendstrafanstalt. Dort hatten sie Unterricht, Berufskunde und so weiter, was Dean gefiel. Aber leider fing er in der Haft an, Tabletten zu nehmen. Das Gefängnis platzte fast vor Drogen, es gab nichts, was man nicht bei Wärtern und Mitgefangenen bestellen konnte. Die Pillen – vor allem Oxycodon – schenkten ihm eine himmlische, tröstliche Ruhe. Und eine Pille zu schlucken war noch einfacher, als ein Bücherregal zu bauen.
Nach der Haft zog er in den Norden, möglichst weit weg von der alten Gang. Sein Onkel überließ ihm ein Zimmer über der Garage und stellte ihn Ronny vor. Und dann traf er Emily. Sie war das hübscheste, süßeste Mädchen, das er jemals kennengelernt hatte. Für eine Weile war sein Leben perfekt. Er hatte einen Job, war clean und trank kaum. Solange seine Hände beschäftigt waren, brauchte er die Tabletten nicht. Er hatte Emily. Bald zog er in ihr nettes Häuschen ein.
Eine Zeitlang glaubte er, alles im Griff zu haben. Aber so war das Leben nicht. Irgendetwas kam immer dazwischen. Seinem Vater war es genauso ergangen. Gerade als er den Entzug hinter sich gebracht hatte: Peng! – Lungenkrebs im Endstadium. Als er kein irres, brutales, angsteinflößendes Arschloch mehr war, das Dean und seine Mom verprügelte, sagte ihm ein Arzt, er habe nur noch drei Monate zu leben. Letztendlich waren es zwei.
Immer wurde Deans aufbrausende Art ihm zum Verhängnis. An den Auslöser für den Streit mit Ronny konnte er sich kaum noch erinnern. Er hatte einfach die Nerven verloren. Es war um irgendeinen Küchenschrank gegangen, den Dean eingebaut hatte. Er hatte die Tür falsch angebracht, es war banal. Ronny hatte gelacht. Und wenn es irgendetwas gab, das Dean nicht ertragen konnte, war es, ausgelacht zu werden. Er spürte dieselbe Weißglut in sich aufsteigen wie früher. Was dann geschah, wusste er nicht mehr. Er hatte Glück im Unglück, denn Ronny zeigte ihn nicht an. Aber Dean verlor den Job, der ihm so viel bedeutet hatte.
Er geriet in eine Abwärtsspirale, erledigte zweifelhafte Jobs und nahm wieder Tabletten. Und plötzlich war Brad aufgetaucht, was nur bedeuten konnte, dass Dean am Tiefpunkt angelangt war.
Er fuhr los. Im Rückspiegel sah er das Schild des Blue Hen. Er musste unweigerlich lachen.
»Was ist so komisch?«, fragte Brad.
»Nichts.« Das Lachen blieb Dean im Hals stecken, und ihm wurde schlecht. Er fühlte sich immer so, wenn er mit Brad zusammen war, er schwankte zwischen Aufgekratztheit und tiefster Verzweiflung. Durch Emily fühlte er sich wie ein guter Mensch, aber mit Brad kam er sich wie der letzte Penner vor. Dean fürchtete, dass Brad ihn noch weiter in ein schwarzes Loch zog. Ein zweites Mal schaffte er es nicht, sich aus dem Sumpf zu befreien. Er würde endgültig untergehen und Emily mit in die Tiefe ziehen.
»Vielleicht ist der Plan doch nicht so gut«, sagte Dean.
Schweigend schnippte Brad den Zigarettenstummel aus dem Fenster. »Siehst du irgendeine andere Möglichkeit, deine Schulden zu bezahlen?«
Darauf wusste Dean nichts zu sagen. Sie kannten beide die Antwort. Als sie auf den Highway fuhren, fing der Motor zu stottern an. Dieses Auto machte es nicht mehr lange.
VIER
A ls Emily nach Hause kam, war Dean nicht da. Das Chaos verriet ihr, dass er den ganzen Tag im Haus verbracht hatte. Im Fernsehen lief Oprah. In der Spüle türmte sich das schmutzige Geschirr. Die Mikrowelle stand offen. Obwohl sie ihn darum gebeten hatte, hatte er den Müll nicht hinausgebracht. In der Küche stank es. In Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad brannte das Licht. Auf dem Boden lag Deans Unterwäsche. Er zahlte keine Miete und beteiligte sich nicht an den Nebenkosten, fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher