Gedenke deiner Taten
Sie hatten unzählige Male darüber geredet.
»Nein, lieber nicht«, sagte sie und seufzte tief. »Ich weiß auch nicht.«
Er schwieg. Er würde nicht versuchen, sie in dieser heiklen, sehr persönlichen Angelegenheit zu beeinflussen. Als die Leute schon längst nicht mehr fragten, was Kate aus ihrem Leben zu machen gedenke, hatte sie einen Roman geschrieben. Neulich hatte sie einen Agenten gefunden. Bald waren die ersten Verlagsangebote eingetrudelt.
Kate war zu bescheiden, um das Interesse auf ihr literarisches Talent zu beziehen. Vermutlich interessierten sie sich nur für sie, weil sie mit Sebastian verheiratet gewesen war. Dank der Memoiren ihres Mannes (ein Buch, das in Kates Augen reine Fiktion war) glaubte jedermann im Literaturbetrieb, sie zu kennen.
Sie hatte an dem Buch gearbeitet, wenn die Kinder in der Schule waren oder spät in der Nacht, wenn alle schliefen. Endlich hatte sie getan, wovon sie immer geträumt hatte. Den Roman zu schreiben hatte ein Jahr gedauert und war wider Erwarten schwieriger und gleichzeitig einfacher gewesen.
»Familiendrama«, das sagten die Leute dazu. Die Lektorin benutzte den Begriff oft. Der Handlung lag eine wahre Begebenheit zugrunde. Was nach Ansicht der Herausgeber hervorragend war. Offenbar wollten die Leser einen neugierigen Blick hinter die Kulissen werfen und Anteil haben an dem Horror, der sich Leben nannte. Heutzutage wusste man nicht mehr, was erfunden und was autobiografisch war.
»Mal sehen, wie ich mich fühle«, sagte sie.
Ihr Mann klopfte mit der freien Hand ein Stakkato auf seine Armlehne. Das tat er immer, wenn er nervös war. Es war ihr gleich zu Anfang ihrer Beziehung aufgefallen, dass er nicht immer der entspannte, sorglose Typ war, für den alle ihn hielten. Manchmal grübelte er zu viel. Manchmal war er aufgeregt wie ein kleiner Junge.
Sie beobachtete ihn. Er starrte in den Sternenhimmel hinauf.
»Was ist?«, fragte sie.
»Na ja«, sagte er, »ich habe gute und schlechte Nachrichten.«
Er reckte die Arme in die Höhe, wandte sich ihr zu. Sein Gesicht war reglos.
»Was ist denn?«, fragte sie. Auf einmal war ihr beklommen zumute.
»Erinnerst du dich an diese Fünfhundert-Quadratmeter-Villa im spanischen Stil, die in der Poplar Street? Die dir so gut gefallen hat?«
Oh, es ging um Immobilien.
»Ja, natürlich.«
»Der Besitzer will sie verkaufen. Er will mir den Auftrag erteilen. Wie sich herausstellt, kennt er die Hamiltons. Sie haben ihm gesagt, ich sei der beste Mann für den Job.«
Er grinste breit. Sean liebte seine Arbeit. Er interessierte sich für Immobilien – Grundstücke, Wohnungen, Häuser. Er war ein talentierter Kuppler, der glückliche Verbindungen zwischen Familien und Traumhäusern stiftete. Er konnte sich in ein Anwesen verlieben und pausenlos davon schwärmen. Seine Begeisterung war ansteckend.
Dass er seiner Arbeit mit so viel Leidenschaft nachging, hatte ihr von Anfang an gefallen. Beruflicher Erfolg bedeutete ihm alles. In den letzten Jahren war es für ihn nicht gut gelaufen, der Markt war schwierig. Nun freute sich Kate für ihn, so wie sie sich für ihre Kinder freuen konnte.
»Meinen Glückwunsch, das ist ja wundervoll!«, sagte sie. »Und die schlechten Nachrichten?«
Sean wurde ernster, zog eine Augenbraue hoch.
»Sie haben es eilig«, sagte er. »Die erste Besichtigung soll am Sonntag stattfinden.«
Kate brauchte eine Minute, um zu begreifen.
Sie spürte weder Wut noch Enttäuschung, nur Angst. Sie wusste nicht, ob sie diesmal allein mit der Insel und ihren Eltern zurechtkam. Sean verstand. Er sah sie besorgt an und hob schnell die Hand.
»Ich habe ihnen gesagt, dass wir eigentlich in den Urlaub fahren wollten und ich zuerst mit meiner Frau sprechen muss. Wenn du nicht einverstanden bist, werden wir es auf nächste Woche verschieben.«
Kate schaute zum Himmel. Über den Adirondacks glühten die Sterne am Nachthimmel. Wenn die Kinder im Bett waren, würden sie und Sean am Wasser liegen, in die Unendlichkeit starren und die Stille genießen.
»Ehrlich, es dauert nicht lange«, fügte er hinzu, als Kate schwieg. »Ich könnte am Montag nachkommen. Brendan könnte bei mir bleiben und sich einen zusätzlichen Tag schonen. Wir wären am Montagabend da, allerspätestens am Dienstagmorgen.«
Er wirkte so glücklich und hoffnungsfroh wie ein Junge, der um einen Hundewelpen bettelt.
»Okay«, sagte Kate und versuchte zu lächeln. »In Ordnung.«
»Im Ernst, Kate«, sagte er und nahm ihre Hand, »wenn du
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