Gedenke deiner Taten
leergestanden, die Verkäufer waren an die Westküste gezogen. Und die Makler machten sich noch nicht die Mühe und mieteten Mobiliar, damit die Häuser wohnlicher aussahen. Die Wände brauchten dringend einen neuen Anstrich, die Böden waren abgewetzt. Dennoch war es ein hübsches Haus in gehobener Lage. Und obwohl es renovierungsbedürftig war, würde Sean es ohne große Mühe verkaufen.
Seine Sekretärin hatte den Termin vereinbart. Er stand wartend auf der Veranda, als Kate vorfuhr. Sie parkte ihren alten, aber gepflegten Mercedes neben seinem neuen Porsche Spyder. Sie war nicht sein Typ, sah aber ganz süß aus mit ihrem hellblonden Haar und der zierlichen Statur. Sie trug ein geblümtes Kleid, schwarze Leggings und eine Jeansjacke. Hübsch, adrett, so wie eine Frau, die sich seine Mutter für ihn gewünscht hätte. Aber mit »adrett« konnte Sean nichts anfangen. Damals traf er sich mit einer heißen Rothaarigen, einem eins achtzig großen, sexy Unterwäschemodel, das ihn mächtig auf Trab hielt. Ehrlich gesagt hatte er damals nur diese Frau im Kopf.
Und dann entdeckte er Chelsea auf dem Rücksitz. Sie zog eine Schnute und hielt ihren Stoffhund fest umklammert. Kate öffnete die Tür und versuchte mit ihr etwas auszuhandeln.
»Nur noch eins«, sagte sie, »und dann gehen wir Eis essen.«
Seans erster Gedanke war, dass heutzutage alle Eltern denselben Fehler begehen: Sie bestochen ihre Kinder zu häufig und diskutierten zu viel. Als er ein Kind war, hatte niemand mit ihm diskutiert. Man tat, was einem gesagt wurde, ansonsten setzte es Prügel.
Aber als die beiden näher kamen, geschah etwas mit ihm. Kate schüttelte ihm lächelnd die Hand, ohne ihn wirklich zu sehen. Chelsea funkelte ihn böse an, obwohl er es mit einem fröhlichen und, wie er fand, sehr charmanten »Hallo Prinzessin!« versuchte. Ein ahnungsloser Idiot war er damals. Und die nicht einmal vierjährige Chelsea durchschaute ihn auf den ersten Blick.
Sie hatten ihn beeindruckt. Warum eigentlich? Er konnte es bis heute nicht genau benennen. Vielleicht die Art, wie Chelsea Kates Hand hielt und sich an ihr Bein schmiegte.
»Das ist ein schöner, großer Schrank«, sagte Kate.
»Da passen alle meine Spielsachen rein«, antwortete die praktische Chelsea.
»Mein Daddy zieht hier nicht ein«, erzählte Chelsea ihm in der Küche. »Mommy und ich wohnen jetzt allein.«
»Oh«, sagte Sean.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Kate. Seine Verlegenheit brachte sie zum Schmunzeln.
»Das kommt vor«, fuhr Chelsea fort, »manchmal wollen zwei Erwachsene nicht mehr zusammenwohnen.«
»Wie wahr«, sagte Sean.
Er drehte sich zu Kate um, die ihn zu mustern schien. Das war er nicht gewohnt. Sie versuchte anscheinend seinen Charakter einzuschätzen.
»Haben Sie Kinder?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er, »dazu ist es nie gekommen. Ich hoffe, irgendwann später einmal. Hoffentlich werden meine Kinder so süß und aufgeweckt wie dieses kleine Mädchen hier.« Den letzten Satz sagte er nur, um eine Verbindung aufzubauen; das war ein alter Verkäufertrick. Gemeinsamkeiten schaffen. Chelsea runzelte die Stirn. Kate nickte bedächtig. Und dann lächelte sie wieder amüsiert und verständnisvoll. Oder herablassend? Offenbar hielt sie sich für schlauer als er. Womöglich stimmte das sogar.
»Das Haus gefällt mir«, sagte sie und legte die Hände auf die Arbeitsplatte aus Granit (dieselbe Platte, vor der sie jetzt standen). »Seit Wochen haben wir kein so schönes Haus mehr besichtigt. Hier fühlt man sich so … geborgen.«
Sean fragte sich, wie sie das meinte. Offensichtlich sprach sie nicht von dem hübschen Wohnviertel oder der neuen Alarmanlage. Sie sprach von etwas Größerem, Umfassenderem. Das Haus war wirklich schön, auch wenn ihm das bislang nicht aufgefallen war. Es war kleiner und nicht so protzig wie die Villen in diesem Teil von New Jersey, die er in der letzten Zeit an den Mann gebracht hatte. Aber es war solide gebaut, anders als die neuen Fertighäuser. Von Weitem sahen sie atemberaubend aus, aber sie hatten dünne Wände, und die Fußleisten und Wasserhähne gingen nach einem Jahr kaputt. Mit ein bisschen Liebe könnte man aus diesem Haus ein richtiges Heim machen.
»Machen Sie ein Angebot«, sagte er. »Die Eigentümer wollen unbedingt verkaufen.«
Das sagte er immer, auch wenn es in diesem Fall tatsächlich stimmte. Kate machte ein gutes Angebot. Sie wollte nicht feilschen. Sie kannte die Marktlage und wusste, wie viel das Haus wert
Weitere Kostenlose Bücher