Gedenke deiner Taten
und schaute Kate zu. Es fiel ihr schwer stillzusitzen, während jemand in der Küche herumwerkelte. Sie beugte sich vor, um die Zeitschriften auf dem Sofatisch aus Ahorn zu ordnen, die Kissen zurechtzurücken. Der Kronleuchter aus Hirschgeweihen über dem langen Esstisch (natürlich Joes Idee) musste dringend einmal abgestaubt werden. Außerdem hatte John Cross, als er herumschnüffelte, ein paar Bücher durcheinandergebracht. Birdie stand auf, um sie zu ordnen.
Dann warf sie einen Blick auf die Anrichte, um die Schnapsflaschen zu überprüfen. Der Scotch ging ihnen demnächst aus. Den Portwein hatte seit Monaten niemand angerührt. Sie setzte sich wieder aufs Sofa und beobachtete Kate.
»Lass ihn lange ziehen«, sagte sie, als Kate das kochende Wasser vom Kessel in die Kanne goss. »Die passenden Tassen stehen in dem Schrank rechts von der Spüle.«
Kate öffnete den Schrank, schien aber die Tassen kaum wahrzunehmen. Sie stand gedankenverloren herum. Musste Birdie alles selbst machen?
»Was soll’s«, sagte sie, stand auf und kam in die Küche. »Setz dich einfach. Ich übernehme das.«
Kate setzte eine versteinerte Miene auf, die Birdie von ihrem Mann gut kannte, und nahm wortlos Birdies Sofaplatz ein. »Am besten, du lässt sie einfach machen«, hatte Joe einmal zu Kate gesagt. »Du wirst es ohnehin nicht perfekt machen, und dann kriegst du was zu hören …« Eine von vielen schmerzvollen Erinnerungen.
Birdie nahm Tassen und Untertassen aus dem Schrank und stellte das Geschirr aufs Teetablett. Sie holte Sahne und Zucker aus dem Kühlschrank und trug alles zum Sofa. Eilig räumte Kate die Zeitschriften beiseite – Birdie hatte sie gerade sortiert, aber was soll’s. Als sie das Tablett abstellte, klirrte es.
Wenn Kate allein gewesen wäre, hätte sie den Tee direkt im Becher aufgegossen und den Teebeutel in den Müll geworfen. Dabei reichte ein Beutel für mehrere Tassen. Außerdem hatte das Ritual der Teezubereitung etwas Gemütliches, Beruhigendes. Kates Generation hatte den Sinn für derlei Feinheiten verloren. Alles musste so schnell wie möglich und ohne Umwege erledigt werden. Wozu eine Kanne, Tassen, Untertassen und Löffel benutzen, wenn ein Becher ausreichte? Warum das Wasser umständlich im Kessel erhitzen, wenn die Mikrowelle es in zwei Minuten schaffte? Mit etwas angemessen umzugehen erfüllte einen Selbstzweck. Aber das konnte man den jungen Leuten nicht vermitteln.
»Um fünf setzen wir nach Cross Island über«, sagte Birdie, schenkte den Tee ein und reichte Kate eine Tasse.
»Oh«, sagte Kate. »Ich dachte, wir freunden uns nicht mit den Nachbarn an?«
Kate und Theodore hatten mit den Kindern auf den Nachbarinseln spielen wollen, aber Birdie hatte das nie erlaubt. Als sie älter waren, fuhren die Geschwister auf eigene Faust los. Birdie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Kinder sich mit dem Sohn des Gärtners oder mit den Töchtern des Hafenmeisters abgaben. Die Kinder schienen für solche Standesunterschiede kein Gefühl zu haben. Man konnte doch nicht mit einem Angestellten zu Mittag essen. Kate und Theo hingegen hielten ihre Mutter für einen schrecklichen Snob.
»Er kennt Sebastian«, sagte Birdie. Sie wartete auf eine Reaktion von Kate, die aber ausblieb.
Kate blickte von ihrem Tee auf.
»Woher?«
»Offenbar bewegen sie sich in denselben Literatenkreisen. Wie geht es Sebastian eigentlich?«
»Immer noch trocken. Ansonsten hat er sich nicht verändert.«
»Hat er wieder geheiratet?«
Kate zuckte die Achseln.
»Er lebt mit einer Frau zusammen. Sie ist in Ordnung. Sie ist nett zu Chelsea, das ist das Wichtigste.«
»Hm«, machte Birdie. »Schade.«
Wäre Kate jünger gewesen, hätte sie gefragt: »Wie meinst du das?« Und dann hätten sie sich gestritten. Aber das Muttersein hatte Kate weicher gemacht. Nein, weicher war nicht das richtige Wort. Sie war distanzierter, regte sich nicht mehr so schnell auf. Auch Theo hatte diese Entwicklung durchgemacht; nach und nach hatten die Kinder sich aus Birdies Einflussbereich entfernt. Vielleicht war das ein normaler Vorgang. Birdies Bekannte erzählten ständig von den Enkeln – sie betreuten sie, verreisten mit ihnen, besuchten sie oder planten gar, bei ihren erwachsenen Kindern einzuziehen. Birdie versuchte zu verdrängen, dass Kate und Theo sie kaum an ihrem Leben teilhaben ließen. Sie kamen auf die Insel oder zu Kurzbesuchen in die Stadt. Das war’s. Kate lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Ist
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