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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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die Arme vor der Brust und ließ den Blick über die Baumkronen, die Wolken, den soliden Dreiecksgiebel des Haupthauses und die glitzernde Wasseroberfläche schweifen. Wieder spielte sie mit dem Gedanken, mit einer Taschenlampe bewaffnet über die Insel zu streifen. Aber wie würde sie reagieren, wenn sich tatsächlich jemand zwischen den Bäumen versteckte? Außerdem wollte sie die Mädchen nicht allein lassen. Früher hatten Theo und sie sich oft nachts hinausgeschlichen, um über die dunkle Insel zu streifen. Sie hatten Taschenlampen mitgenommen und die Orte, an denen sie tagsüber spielten, neu entdeckt. Kein einziges Mal hatten sie sich dabei gefürchtet. Sie fühlten sich sicher und geschützt, so als könnte ihnen hier auf der Insel nichts passieren. Caroline sprach oft von den Inselgeistern, aber Kate und Theo waren trotz aller Bemühungen noch keinem begegnet.
    Sie ging von Fenster zu Fenster und betrachtete die Insel aus verschiedenen Perspektiven. Sie sah den Weststrand und das Haupthaus im Süden. Im Osten gab es nichts zu sehen als Bäume und den Trampelpfad, der zum Aussichtsfelsen hinaufführte. Dort oben hatte die Affäre von Lana und Richard ihr tragisches Ende gefunden. Kate fragte sich, ob er, nachdem sie so viel über ihn gelesen und geschrieben hatte, wieder zum Leben erwacht war. Wandelte Richard Cameron auf der Insel umher, um sich nach all den Jahren endlich bemerkbar zu machen? Chelseas und Birdies Personenbeschreibung erinnerte Kate an die Fotos von Richard, die sie im Internet gefunden hatte. Nein, das konnte nicht sein. Sie war einfach nur übermüdet. Dennoch fragte sie sich, was Caroline dazu gesagt hätte. Bestimmt hätte sie an einen Geist geglaubt und ihr Ouija-Brett herausgeholt. Richard, bist du es? Es tut uns leid, dass du so gelitten hast.
    Ob Birdie wohl von der Affäre ihrer Mutter gewusst hatte? Als John Richard erwähnte, hatte Birdie ahnungslos gewirkt, als habe sie den Namen nie gehört. Aber warum war ihre Reaktion auf Johns Schilderungen dann so heftig ausgefallen? Hatte das Foto sie an den Unbekannten erinnert, den sie angeblich auf der Insel gesehen hatte? Oder hatte ihr Unbewusstes sich gemeldet, ihre verdrängten Erinnerungen? Aber wenn sie Birdie offen darauf ansprechen wollte, müsste sie zugeben, die Wahrheit über die Affäre zu kennen, zumindest Lanas Version. Kate wusste nicht, ob sie dafür bereit war.
    Die Affäre, wenn auch stark verfremdet, bildete den Kern ihres Romans. Sie musste mit Birdie sprechen, bevor das Buch veröffentlicht wurde.
    Vielleicht hatte John Cross von ihrem Roman gehört. Der Literaturbetrieb war klein. Unwahrscheinlich, dass er ihr Manuskript gesehen hatte – aber völlig auszuschließen war selbst das nicht. Ja, sie hatte Orte und Namen geändert und fiktive Szenen eingefügt, aber dennoch erzählte das Buch eine wahre Geschichte. Kate hatte sich diesbezüglich der Lektorin anvertraut; waren Gerüchte im Umlauf? Die beste Literatur, hatte ihr die Lektorin versichert, lese sich wie ein Sachbuch. Die besten Lügen haben einen wahren Kern.
    Kate war so in Gedanken, dass sie die Bewegung im Unterholz zuerst nicht wahrnahm. Einen Schatten, der sich langsam zwischen den Baumstämmen hindurchschob. Kate bekam einen trockenen Mund, ihr Herz fing zu klopfen an. Und dann war alles wieder so wie immer, reglos und still. Was hatte sie gesehen?
    Schnell und lautlos eilte sie in den Vorraum, zog Jeans, Schuhe und Jacke an. Sie nahm die Taschenlampe und die Leuchtpistole aus dem Ausrüstungsregal über dem Waschbecken. Die Leuchtpistole war keine Waffe im eigentlichen Sinn, aber es fühlte sich beruhigend an, ihr Gewicht in der Hand zu spüren.
    Kate schlich hinaus und schloss die Tür hinter sich ab. Sie hatte keine Angst mehr, sondern war empört. Jemand hatte es gewagt, in ihre Privatsphäre einzudringen. Als sie in die Dunkelheit hinausstapfte, musste sie zugeben, dass mehr von Birdie in ihr steckte, als sie gedacht hatte.
    Birdie hatte nicht viel geschlafen, war immer wieder eingedöst und aufgeschreckt. Sie war zu schwach, um aufzustehen. Sie hörte, wie die anderen sich leise unterhielten und später zu Abend aßen. Beim Geschirrspülen verbrauchten sie zu viel Wasser. Hatten sie vergessen, dass die Wasserpumpe solarbetrieben war? Sie merkten es spätestens dann, wenn sie den Wasserhahn aufdrehten und nichts herauskam.
    Zuletzt hatten die drei sich ins Gästehaus verzogen, und Birdie war endlich wieder allein. Lärm und Unruhe störten sie. So

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