Gedrillt
wurde, daß sie noch nicht zu alt sei zu wissen, wie das Hotel geführt werden müsse. Ich nehme an, Werner und Ingrid hatten irgendeinen Weg entdeckt, mit Lisl umzugehen, denn ich hatte nicht den Eindruck, daß sie ihnen die Veränderungen, die sie vorgenommen hatten, übelnahm. Dieser Speisesaal zum Beispiel war vollkommen neu eingerichtet. Man hatte die hölzerne Täfelung abgebeizt und die banalen Drucke durch Aquarelle eines zeitgenössischen Künstlers ersetzt. Sie zeigten Berliner Straßenszenen und vertrugen sich gut mit einer grausamen Zeichnung von George Grosz, die als einziges Stück des früheren Wandschmucks übernommen worden war. Diese Zeichnung hatte immer neben diesem Tisch gehangen, der an dem Fenster zum Hof stand, und an diesem Tisch saß Lisl zum Mittagessen am liebsten. Einer von Lisls gehässigeren Kritikern sagte einmal, sie sei wie eine Zeichnung von George Grosz: schwarz-weiß, ein Mensch der Extreme, eine ausgezackte Karikatur der dreißiger Jahre. Und heute sah die korpulente Frau im langärmeligen schwarzen Kleid mit ihren schwarz von Mascara umrandeten, durchbohrenden Augen tatsächlich so aus.
Der Kaffee kam, und Klara goß mir welchen in die Tasse. Es war ein dünnes Gebräu, ohne Aroma oder Farbe. Ich sagte nichts dazu, und Lisl tat so, als habe sie nicht mal gemerkt, daß er gebracht worden war. Lisl trank ein wenig Milch. Sie mochte dieser Tage keinen Kaffee. Langsam arbeitete sie sich durch einen roten Apfel, ein Stück Emmentaler und eine Scheibe Schwarzbrot. Ihre arthritische alte Hand – blaß und fleckig, mit Diamantringen bestückt – hielt ein scharfes Küchenmesser und schnitt von dem Apfel ein sehr kleines Stück. Sie nahm es zwischen Finger und Daumen und aß vorsichtig, so daß sie ihren leuchtendroten Lippenstift nicht verschmierte. »Werner hat seine eigenen Ideen«, sagte Lisl plötzlich. Sie sagte das, als redeten wir schon von ihm und als antwortete sie auf eine Frage. »Werner hat seine eigenen Ideen, und er ist fest entschlossen.«
»Was für Ideen?«
»Er hat die Bücher durchgesehen und schreibt mit diesem Textcomputer Briefe an alle Leute, die während der letzten fünf Jahre oder mehr hier gewohnt haben. Er führt auch Buch über die Gäste, ihre Namen, die Namen ihrer Frauen und was sie gerne aßen und welche Schwierigkeiten wir mit ihnen hatten.«
»Ausgezeichnet«, sagte ich. Sie verzog das Gesicht, und so sagte ich: »Du glaubst, das ist nicht die richtige Methode?«
»Jahrelang habe ich das Hotel geführt ohne diese Sachen«, sagte Lisl. Sie sagte nicht, daß Werner es nicht richtig machte. Lisl würde abwarten, bis Werner seine neuen Ideen ausprobiert hatte. So machte Lisl das immer. Sie riskierte nicht gerne, ins Unrecht gesetzt zu werden.
»Werner versteht was von Geschäften«, sagte ich.
»Und die Bridge-Abende«, sagte Lisl. »Frank Harringtons Leute kommen zu diesen Bridge-Abenden. Die Engländer lieben Bridge, nicht?«
»Manche«, sagte ich.
Lisl lachte grausam. Gewöhnlich konnte sie mich beim Bridge schlagen. Wenn sie lachte, wabbelte ihr massiger Leib und wellte ihr glänzendes Satinkleid. Sie erhob die Hand und berührte den Augenwinkel mit dem kleinen Finger. Es war eine anmutige Gebärde, mit der sie den Sitz ihrer großen falschen Wimpern prüfte. »Werner ist wie ein Sohn für mich.«
»Er hat dich sehr gerne, Lisl«, sagte ich. Ich nehme an, ich hätte sagen sollen, daß Werner sie liebte, denn die Opfer, die er brachte, indem er sich des Hotels annahm, ließen daran keinen Zweifel.
»Und er liebt das Haus«, sagte Lisl. Sie nahm ein weiteres kleines Stück von dem Apfel und zermalmte es geräuschvoll, wobei sie wieder auf ihren Teller sah, als interessierte meine Reaktion sie nicht.
»Ja«, sagte ich. Daran hatte ich bisher nie gedacht, aber Werner war während des Krieges hier geboren worden. Er war in diesem Haus aufgewachsen. Seine gefühlsmäßige Bindung an diese Räume mußte also noch stärker sein als meine, und doch hatte er von solchen Gefühlen mir nie ein Sterbenswort gesagt. Aber wie egoistisch von mir, daß ich nie gesehen hatte, was nun so offensichtlich war. »Und deine Nichte hast du auch hier«, sagte ich.
»Ingrid.« Lisl räusperte sich und nickte. »Sie ist meine Nichte.«
»Ja«, sagte ich. Da Lisl wiederholt jedem, der es hören wollte, erzählt hatte, daß Ingrid die illegitime Tochter ihrer Schwester und also nicht ihre Nichte war, bedeutete dieses Zugeständnis eine Menge.
»Mußt du irgendwohin?« fragte
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