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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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erheblich.
    »Nein, ich sehe dadurch alles verschwommen. Aber die Brille ist schick, findest du nicht?«

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    »Doch, ist sie«, sagte ich. »Dies ist Tante Lisl. Trink doch ein Glas.«
    »Hello, Tante Lisl.« Die Vorstellung, daß Lisl wirklich meine Tante sein könnte, schien ihn zu verwirren, aber er fragte nicht nach.
    »Nein, ich muß weg, Bernard.«
    »Haben sie rausbekommen, wer Spengler umgebracht hat?«
    fragte ich.
    »Sie haben nicht mal seinen richtigen Namen rausgekriegt oder wo er her war. Um den kümmert sich keiner mehr, außer uns.«
    Er winkte, und fort war er. Lisl hatte nicht versucht, der Unterhaltung zu folgen. »Mit der Wahl deines Umgangs musst du in dieser Stadt vorsichtig sein«, sagte sie. »Hier ist es nicht wie in London.«
    Lisl, die, soweit ich wußte, nie in London gewesen war, sagte das schon, seitdem ich, damals war ich sechs Jahre alt gewesen, eines Tages Axel Mauser mitgebracht hatte, um ihm meine Sammlung von Nazi-Orden zu zeigen.
    Johnnys Besuch war so kurz, daß ich vergaß, ihm ein bisschen Kleingeld zu geben. Leuten wie Johnny ist mit ein paar Mark schon sehr geholfen. Weiß der Himmel, wieviel Zeit und Mühe er darauf verwandt hatte, mich aufzuspüren. Er hatte sogar neue Batterien für mich geklaut. Langlebige Batterien sogar, die besten. Vermutlich hatte er sie von Wertheim. Er klaute gerne bei Wertheim. Da kriegt man doch wenigstens Qualität, pflegte er zu sagen.
    Schließlich war es dann Werner, der Lisl durch seine Party schob, wo sie sich gnädig verneigte, ihre Hand zum Kuß reichte oder königlich winkte, je nach dem Grad der Gnade, den die verschiedenen Gäste von Werners Fest in ihren Augen fanden. Ich trug den Koffer meines Vaters in den Keller hinunter, und setzte mich, als ich unten war, für ein paar Minuten hin. Mir war bewußt, wie absurd ich mich benahm,

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    mich so vor Werners Party zu verstecken, ich wußte auch, wie Werner mich auslachen würde, wenn er mich hier unten entdeckte. Aber ich wollte nicht da oben sein, wo hundertundfünfzig ausgelassene Leute, von denen ich die meisten nicht kannte, in Verkleidungen, die ich nicht durchschaute, das Ende von etwas feierten, von dem ich nicht Abschied nehmen wollte. Ich verdrückte mich in das kleine Versteck neben dem Kesselraum, in das ich mich als Kind oft verkroch, um meine Schularbeiten zu machen. Da gab es immer helles Licht und einen hohen Stoß alter Zeitungen und Zeitschriften. Da ich, anstatt meine Schularbeiten zu machen, meist in diesem Pressearchiv schmökerte, wurde mein Deutsch so gut, daß ich bei Wortschatztests und im Aufsatz der Mehrzahl meiner deutschen Klassenkameraden oft überlegen war.
    Jetzt machte ich’s genauso. Ich nahm eine Zeitung von dem hohen Stapel, setzte mich auf die Bank und las sie. In Spandau hatte man vergrabene Kanister mit Giftgas entdeckt. Die hatten da seit dem Zweiten Weltkrieg gelegen.
    »Bernard, Liebling! Was machst du denn hier unten? Ist dir schlecht?«
    »Nein, Tessa. Ich wollte nur meine Ruhe haben.«
    »Du bist wirklich der Gipfel, Bernard. Der Gipfel. Der Gipfel.« Sie wiederholte die Worte, als bereite es ihr Vergnügen, sie auszusprechen. Ihre Augen waren weit und feucht. Ich merkte, daß sie high war. Nicht betrunken vom Alkohol. High von irgendwas Stärkerem. »Wirklich der Gipfel«, sagte sie noch einmal. Sie streckte die Arme aus. Der fast durchsichtige gelbe Stoff war an ihren Handgelenken befestigt, und sie verwandelte sich in einen Schmetterling. Das helle Licht zeichnete ihr einen wirbelnden Schatten an die weißgetünchte Wand.
    »Was ist denn, Tessa?«
    »Dein Freund Jeremy sucht dich überall.« Sie drehte sich,

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    um noch einmal den wirbelnden Schatten zu genießen, den sie warf. »Wer ist Jeremy?«
    »Du meinst, Jeremy und wie weiter? Jeremy wer?« Sie lachte schrill. »Jeremy Dingens!« Sie schnippte mit den Fingern. »Jeremy, der kultivierte Affe. Kennst du den Vers: ›Er tut es dem Affen also gleich, daß je höher er steigt, desto mehr Arsch er zeigt‹? Francis Bacon. Du denkst vielleicht, ich bin ein liederliches Mädchen ohne höhere Bildung. Aber ich bin zur Schule gegangen und kann Francis Bacon zitieren wie die Besten von euch.«
    »Natürlich kannst du das, Tessa. Aber du scheinst mir selbst ein bißchen hoch zu hängen.«
    »Und zeige zuviel von meinem Arsch, was, Bernard, du unverschämtes Aas?«
    »Nein, Tessa, natürlich nicht. Aber ich glaube, es wäre vernünftig, wenn du jetzt in dein Hotel zurückgingst.

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