Gedrillt
Tessa, wir müssen fahren.«
»Ich komme mit«, sagte sie.
»Nein, verdammt noch mal, das tun Sie nicht!« sagte
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Teacher. Er schaltete die Heizung auf volle Touren. Das nasse Gorillafell war offenbar kalt.
Dann trat Dicky auf. Er war als Harlekin kostümiert, –
sorgfältig geschminktes Gesicht, karierter Anzug und imposanter Hut –, eine Maskerade die sich auf deutschen Faschingsfesten großer Beliebtheit erfreut. Er bemerkte Tessa und meldete uns pflichteifrig, daß sie hinten im Wagen sitze.
Teacher stieß einen lauten und zornigen Seufzer aus. »Dann holen Sie sie raus«, sagte er, ohne seine respektvolle Zurückhaltung, die er im Verkehr mit Vorgesetzten gewöhnlich walten ließ. Inzwischen drängten sich anscheinend Dutzende von Leuten in phantastischen Kostümen um den Wagen, obwohl es in der Dunkelheit und bei dem Regen schwer war, irgend jemanden zu erkennen. Jedenfalls drängten sich die Leute so dicht, daß es schwierig sein würde, sich einen Weg durch sie zu bahnen und die Hecktür aufzukriegen, um Tessa herauszuholen, selbst wenn, im Fall einer groben Behandlung Tessas, keiner sich einmischte. Und, wenn ich irgend etwas von den Wirkungen des Alkohols auf die männliche Psyche wußte: Ein Handgemenge mit Tessa würde sofort einen Aufstand provozieren. Ein Blitz flammte auf. Weitere Scharen phantastisch kostümierter Masken ergossen sich auf die Straße.
Das Gedränge rings um den Ford war die neueste Attraktion der Party. Ein durchnäßter Friedrich der Große schwenkte vergnügt die Arme, während Barbarossa, mit zerzaustem falschem Bart, seinen Hut einer römischen Jungfrau zum Schütze ihrer Frisur anbot. Ich erblickte die Duchess. Sie war als Hexe kostümiert, mit spitzem Hut und einem langen schwarzen Gewand, dessen Rock mit okkulten Symbolen besetzt war. Trotz des heftigen Regens hatte sie ihre verdammte Katze dabei, deren Augen zornig aus der Finsternis leuchteten. Die Duchess stellte sich vor den Kühler des Wagens und fing an, feierliche Gebärden mit ihrem Stab zu machen. Der Donner grollte wie gerufen. »Was macht die alte
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Kuh denn da?« fragte Teacher.
»Ich glaube, sie zaubert«, erwiderte ich.
»Jesus Christus!« sagte Teacher, aufs Blut gereizt. »Sind denn alle verrückt geworden?«
Ehe die Duchess mit ihrer Beschwörung fertig war, steckte Harlekin sein bemaltes Gesicht zum Fenster herein und sagte:
»Teacher hat die Leitung. Vergiß das nicht, Bernard.« Ich reagierte nicht. Er packte mich an der Schulter, und im Befehlston eines gereizten Erziehungsberechtigten, der mit einem unartigen Kind spricht, sagte er: »Schau mich an, Bernard! Hörst du, was ich gesagt habe?«
Ich sah Dicky in das dick geschminkte Gesicht und in die kleinen kalten Augen. Jahre unterdrückten Grolls drängten in mir hoch. Die Art, wie er über meinen Kopf hinweg befördert worden war, seine Wichtigtuerei, sein prätentiöser Lebensstil, seine Bereitschaft, dem armen alten George Hörner aufzusetzen und Witze darüber zu machen. Jetzt überstimmte das Gefühl den gesunden Menschenverstand. Ganz gleich, wohin das führen mochte, jetzt war der Augenblick zu reagieren. Ich holte mit der Faust aus und versetzte ihm einen kräftigen Stoß auf die rotgeschminkte Nase. Keinen allzu heftigen, doch taumelte Dicky davon rückwärts auf die Fahrbahn, als gerade ein Wagen vorbeikam. Mit unglaublich schnellem Reaktionsvermögen und quietschenden Bremsen wich der Fahrer ihm aus. Ich drehte mich um und sah ihm nach. Breitbeinig, den Hut verdreht auf dem Kopf und mit ausgebreiteten Armen, bemüht, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, taumelte Dicky noch immer rückwärts.
Und dann landete er auf dem Rücken, und sein großer Dreispitz fiel ihm vom Kopf.
»Los, fahren wir! Wir werden die Sache am Kontrollpunkt klären«, rief ich.
Teacher legte den Gang ein, Gummi quietschte, und auf einen dumpfen Schlag folgte der Schrei einer Frau. Ich wußte
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sofort, was passiert war. Diese verdammte Katze »Jackdaw«
hatte unter dem Wagen Schutz vor dem Regenguß gesucht.
Jetzt hatten unsere Hinterräder sie plattgewalzt. Fast hätten wir auch die Duchess selber umgefahren, aber Teacher riß eben noch rechtzeitig das Steuer herum, und so gelangten wir in den fließenden Verkehr auf dem Ku’damm.
Auf den nassen Straßen glänzten die farbigen Neonlichter, die die Touristen anlockten, die Alkoholkranken, Drogenabhängigen und Stadtstreicher zu besichtigen, denen das Europa-Center Heimat war.
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