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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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»Soll dir die Duchess wahrsagen, Lisl?«
    »Lieber nicht«, sagte Lisl.
    »Es heißt, sie sei eine Hexe«, sagte Werner, als wäre das eine Empfehlung.
    »Ich will die Zukunft nicht kennen«, sagte Lisl. »In meinem Alter hat die Zukunft einem außer Herzeleid und Schmerzen nichts mehr zu bieten.«
    »Ach, sei kein Spielverderber, Lisl«, sagte Werner, der sich ihr gegenüber viel mehr herausnahm, als ich je zu tun gewagt hätte. »Ich werde dafür sorgen, daß du unter die Leute kommst.«
    »Geh weg!« sagte Lisl. »Ich unterhalte mich gerade mit Bernard.«
    Werner sah mich an und grinste kaum merklich. »Ich komme wieder«, versprach er und kehrte zu seinem Fest zurück, das von Minute zu Minute lauter wurde. Er blieb lange genug in der offenen Tür stehen, mir einen Blick auf die Tanzfläche zu gestatten. Die hingerissenen Tänzer, die sich da

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    drängten, waren sämtlich aufwendig kostümiert – Deutsche nehmen Kostümfeste so ernst, wie sie jedes gesellschaftliche Ereignis nehmen, vom Opernbesuch bis zum Besäufnis – und wedelten die Arme mehr oder weniger im Takt der Musik. Da gab es Ballettratten in pailletenbesetzten Trikots, einen römischen Senator, Karl Mays Old Shatterhand war da, und zwei Squaws tanzten zappelnd und lächelnd vorbei. Jeremy Teacher – als dünner, eleganter, kraushaariger Gorilla kostümiert – tanzte mit Tessa, die ein langes, durchscheinendes gelbes Kleid trug und auf ihrem Kopf lange wippende Fühler hatte. Teacher hielt sie fest an sich gedrückt und redete auf sie ein. Tessa hörte mit großen Augen zu und nickte energisch mit dem Kopf. Die beiden bildeten ein ziemlich
    unwahrscheinliches Paar. Die Tür ging zu. »Wann werden sie alle nach Hause gehen?« fragte mich Lisl.
    »Es wird sicherlich nicht sehr spät«, versprach ich, obwohl ich sehr wohl wußte, daß es ganz bestimmt sehr spät werden würde.
    »Ich hasse Feste«, sagte Lisl.
    »Ja«, sagte ich, obwohl offensichtlich war, daß sie sich schon entschlossen hatte, sich nichtsdestoweniger mal draußen umzusehen. Sie liebte es, sich in ihrem Rollstuhl schieben zu lassen. Das erhöhte irgendwie ihre Majestät. Wahrscheinlich würde ich ihr diesmal diesen Dienst leisten müssen, und sicherlich fiel ihr irgendwas ein, mich dabei lächerlich zu machen. Ich verschloß den Koffer. »Komm schon, Lisl«, sagte ich. »Gehen wir raus und sehen uns mal um.«
    »Muß das sein«, sagte sie, prüfte dabei aber schon ihr Make-up im Spiegel. Dann öffnete sich die Tür von neuem. Ein kleiner, lächelnder Mann stand da.
    Zuerst dachte ich, er trüge ein besonders aufwendiges Kostüm, zu dem ein geschwärztes Gesicht gehörte. Dann erkannte ich Johnny den Tamilen. Er sah anders aus, er trug eine goldgerandete Brille. Er lachte. »Wie wunderbar!« sagte

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    er. »Wie wunderbar!« Ich nahm an, er meinte das Fest, aber er schien das Fest kaum zu bemerken. Vielleicht war er high.
    »Wunderbar, dich zu finden, Bernard«, sagte er. »Ich habe schon überall gesucht.«
    »Wie ich hörte, haben dich die Bullen hoppgenommen«, sagte ich.
    Er sah mich über seine Brillengläser an. »Ich habe Schwein gehabt. Da war diese Demonstration gegen die
    Marschflugkörper. Dreihundert Verhaftungen. Sie brauchten den Platz in den Zellen. Da haben sie mich rausgeschmissen.«
    Sein Deutsch war nicht besser geworden, aber ich hatte mich an seinen Akzent gewöhnt.
    »Ich werde dir was zu trinken holen«, bot ich an. Hinter ihm sah ich durch die offene Tür den Herzog von Wellington, der eine ziemlich entzückende Geisha fest in den Armen hielt. Für einen flüchtigen Augenblick meinte ich, Daphne Cruyer zu erkennen, aber als sie den Kopf wandte und Frank anlächelte, wußte ich, daß sie es nicht war.
    »Nein. Ich muß weg. Ich habe dir das hier mitgebracht.« Er gab mir einen großen Umschlag mit Eselsohren. Ich öffnete ihn. Er enthielt eine Kunststoffschachtel, die ein bißchen wie ein kleines Radio aussah. »Das ist Spenglers …« sagte Johnny.
    »Er wollte, daß du ihn kriegst. Es ist sein Schachcomputer.«
    »Danke.«
    »Er hat immer gesagt, daß, wenn ihm je was zustieße, ich seine Brille haben sollte und du seinen Computer. Das ist alles, was er besaß«, setzte Johnny überflüssigerweise hinzu. »Die Bullen haben seinen Paß genommen.«
    »Für mich. Bist du sicher?«
    »Ganz sicher. Spengler mochte dich. Ich habe die Batterien erneuert.«
    »Danke, Johnny. Sind die Gläser richtig für dich?« Die Brille veränderte seine Erscheinung

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