Gedrillt
»Ist sie noch hinten?« fragte Teacher, als wir an der Gedächtniskirche vorbeifuhren, deren Turm man erhalten hat, um Leute, die zur Nostalgie neigen, daran zu erinnern, daß das alte Berlin zum guten Teil aus häßlichen Bauwerken bestand. Selbst zu dieser späten Stunde war noch viel Verkehr. Teacher gab ein paarmal Vollgas bei Leerlauf, und danach lief der Motor ruhiger. Vermutlich hatte der Regen ihm zugesetzt.
»Ich bin hier, Liebling«, sagte eine Stimme von hinten. »Ich kann mir schon vorstellen, zu wem ihr unterwegs seid. Wenn ihr’s wagt zu versuchen, mich am Kontrollpunkt
rauszuschmeißen, werde ich’s laut in die Welt hinausschreien.
Das wäre euch doch bestimmt nicht recht, oder?«
»Nein, das wäre uns nicht recht«, sagte ich.
»Diese Scheißheizung funktioniert nicht«, sagte Teacher und schlug mit der haarigen Hand darauf.
»Das ist ein verdammt überzeugendes Kostüm, Jeremy«, sagte ich bewundernd. Tessa kicherte leise, aber Teacher antwortete nicht.
- 312 -
19
Der Verkehr von West-Berlin nach Westdeutschland über die Autobahn geht durch den Grenzkontrollpunkt Drewitz in der Südwestecke des Stadtgebiets.
Die Kontrollen verlaufen flüssig und sind für Wagen mit diplomatischen Kennzeichen minimal. Auf der DDR-Seite der Grenze legen die Insassen von derart ausgewiesenen Fahrzeugen ihre Papiere gewöhnlich flach gegen die Fensterscheiben, wo sie dann beim Schein ihrer
Taschenlampen von kommunistischen Beamten studiert werden, die mit der bemühten Langsamkeit arbeiten, die im Westen vor allem als Modus operandi von Gewerkschaftlern während eines Tarifkonflikts bekannt ist. Schließlich winkten die Posten uns widerwillig durch. Wenn sie bemerkt hatten, daß einer von uns ein Gorilla war, ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Teacher schob die Diplomatenpässe ins Handschuhfach, und die lange, eintönige Fahrt nach Westen begann. Passend zu der Belagerungsmentalität der DDR gibt es an dieser Strecke weder Cafés noch Restaurants. Da ist keine Gelegenheit, jene achtundsechzig Sorten Icecream zu probieren, die an den Rändern der langen, breiten amerikanischen Freeways zu haben sind, vergeblich sucht man das bifteck aux pommes frites avec chateau vinaigre, mit dem man an den teuren französischen Autoroutes bewirtet wird, nicht mal der Giftmüll und der starke Tee, die überall an Großbritanniens Motorways angeboten werden, sind hier erhältlich.
Zunächst war der Verkehr dicht. Liebhaber und Ehemänner, die aus glücklichen Wochenenden kamen, begegneten einander auf der Heimreise. Lastwagen, die pünktlich mit dem Ende des Wochenendfahrverbots um Mitternacht losgefahren waren, überholten langsam und mühevoll andere schwere Fahrzeuge.
Auf der Überholspur rasten Deutsche an uns vorbei, die
- 313 -
Scheinwerfer aufblendend, falls sie jemand bei der öffentlichen Demonstration der technischen Überlegenheit Deutschlands behindern sollte. »Deutschland über alles«, sagte Teacher, als ein solcher Mercedesfahrer, der dicht hinter uns aufgefahren war, uns endlich überholte, wobei er uns mit dem Finger einen Vogel zeigte und uns mit einem Schwall schmutzigen Wassers bespritzte.
»Tessa ist eingeschlafen«, sagte ich.
»Schließlich mußte auch mal was Gutes passieren. Das ist ein statistisches Gesetz.«
»Verlassen Sie sich nicht auf die Statistik«, sagte ich. Die Scheibenwischer quiekten und quietschten. Teacher griff nach dem Knopf des Autoradios, schien sich’s aber dann anders überlegt zu haben.
Wir gerieten hinter eine Reihe von schweren Lastwagen, die Plane des letzten flatterte im Wind und nun eine Weile vor uns her. »Bleiben Sie wach. Wir werden alle Ausfahrten absuchen«, sagte Teacher. »Die Botschaft könnte fehlerhaft gewesen sein.«
»Kein Kommentar«, sagte ich.
Diese ostdeutschen Autobahnen waren in miserablem Zustand. Auf dieser Strecke war, seitdem Hitler sie baute, kaum was gemacht worden. Die Senkung der Fahrbahn hatte hier und da große Spalten gerissen, und die oberflächlichen Ausbesserungsarbeiten hatten die tiefen Brüche nicht geheilt.
Überall in Europa überzog ein Ausschlag von Warnschildern und Baustellen die Autostraßen, Symptome einer
Arteriosklerose der Verkehrsadern, die nicht mehr heilbar zu sein schien. Wir waren schon an verschiedenen Baustellen vorbeigekommen, aber hinter der Ausfahrt nach Brandenburg –
einer Stadt, die inmitten einer Gruppe von Seen westlich Berlins liegt – verengte sich die Autobahn in westlicher
Weitere Kostenlose Bücher