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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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blaßgrünem Leinen bezogen, der Falz, die Ecken und die Griffe mit Leder.
    Gefüttert war er mit Kaliko.
    Er enthielt Papiere und andere Habseligkeiten meines Vaters: Rechnungen, Kontobücher, Zeitungsausschnitte, ein paar Kalender, einen Seidenschal, auch die britische Uniformjacke, die er so selten trug. Ich stöberte in diesen Sachen herum, während Lisl mir, in ihrem Rollstuhl sitzend, ab und zu an ihrem Sherry nippend, dabei zusah. »Da ist sogar sein Revolver«, sagte sie. »Sei vorsichtig damit, Bernard. Ich hasse Waffen.«
    »Weiß ich«, sagte ich. Ich zog ihn aus dem Lederfutteral. Es war ein Webley Mark VI, ein gigantischer Revolver, ungefähr zweieinhalb Pfund schwer, die Sorte Waffe, die die britische Armee ihren Offizieren schon seit dem Ersten Weltkrieg umhängte. Er war blau und in tadellosem Zustand. Ich bezweifelte, daß mein Vater ihn jemals abgefeuert hat. Eine Schachtel Munition dafür war ebenfalls vorhanden.
    Nickelmantel, 455-Zoll-Kaliber »für den Militärgebrauch«.
    Das Etikett war 1943 datiert und die Banderole noch intakt.
    »Das ist alles. Klara hat alle Sachen deines Vaters in diesen Koffer packen lassen. Alle, das heißt außer der Fußbank, der Matratze und den gesammelten Werken von Dickens.«
    »Danke, Lisl.«
    »Das Ende einer Epoche«, sagte sie traurig. »Werner übernimmt das Hotel. Die Veränderungen in den Räumen. Du nimmst die Sachen deines Vaters mit. Ich bin jetzt eine Fremde hier, eine Fremde im eigenen Haus.«
    »Sei nicht albern, Lisl. Werner liebt dich. Er hat all das nur für dich getan.«
    »Er ist ein guter Junge«, sagte sie traurig, denn sie wußte,

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    daß er ihre Zuneigung verdiente, nur wollte sie nicht gerne von dem Selbstmitleid lassen, das sie so genoß.
    Der Lärmpegel der Party stieg plötzlich, als Werner hereinkam und die Tür hinter sich schloß. Werner war als Ritter in voller Rüstung kostümiert. Praktischerweise war die Rüstung ganz aus Stoff geschneidert, der aber geschickt mit Gold- und Silberdraht so bestickt war, daß man meinte, in Metall gravierte und vergoldete Verzierungen zu sehen. Er sah großartig aus, das fand sogar Lisl. Auch sie sah prächtig aus in einem langen, buntgemusterten Kleid – dem Etikett des Kostümverleihs zufolge nach der Mode adeliger Damen des 13. Jahrhunderts, den Figuren der Glasfenster des Augsburger Doms nachempfunden. Ein Diadem und ein Schleier gehörten dazu und ein leichter, aber weiter Überwurf. Was immer die Treue der Reproduktion des historischen Musters anlangte, Lisl sah in diesem Kostüm neben Werner ganz fabelhaft aus, der Rollstuhl wirkte als imponierender Thron. Ich dachte, er hätte ihrer beider so gut zueinander passende Kostüme in der Absicht gewählt, sich als Lisls treuer Sohn zu zeigen, er gestand mir aber später, daß jenes Kostüm das einzige im Fundus des Verleihs gewesen sei, das ihr nicht nur paßte, sondern zudem feuerrot war. Lisl liebte heftige Farben.
    »Da draußen ist das reinste Irrenhaus«, sagte Werner, an die Tür gelehnt und nach Atem ringend. Sein Gesicht war rot von Erregung und Anstrengung. »Ich habe euch noch Champagner mitgebracht.« Er hatte die Flasche in der Hand und schenkte uns beiden ein. »Absolut gräßlich.«
    »Es klingt gräßlich«, sagte ich, obwohl ich schon seit langem daran gewöhnt war, daß Werner solche irren Kostümfeste organisierte, um dann den ganzen Abend lang jedem zu erzählen, wie gräßlich er sie finde.
    Er sah mich an. »Ich wünschte, du hättest dein Kostüm angezogen«, sagte er. Er hatte ein eindrucksvolles Gewand aus der Mitte des letzten Jahrhunderts für mich ausgesucht, das auf

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    der Schachtel als das eines »Biedermeier-Kavaliers«
    bezeichnet wurde. Frack und Zylinder gehörten dazu. Ich vermutete, daß Werners Lust am Schabernack ihn zu dieser Wahl bewogen hatte, und ich war nicht geneigt, mich dieser Lust zu opfern. »Ich finde mich so ganz in Ordnung«, sagte ich. Ich trug einen zerknautschten grauen Anzug, mein einziges Zugeständnis an den Kostümzwang war eine von Werners farbenfreudigen Fliegen.
    »Du bist so verdammt englisch«, sagte Werner nicht unfreundlich.
    »Manchmal schon«, gab ich zu.
    »Es sind bestimmt hundertfünfzig Leute da«, erzählte er mir. »Die Hälfte uneingeladen. Es hat sich anscheinend herumgesprochen. Sie sind alle kostümiert.« Es war typisch für ihn, daß der Gedanke an die vielen Leute, die uneingeladen zu seinem Fest gekommen waren, ihn mit einem gewissen Stolz erfüllte.

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