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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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auch nur die kleinste Chance dazu kriegt.«
    »Und er weiß, daß was läuft?« fragte ich. »Joe Brody ist ein abgebrühter alter Hund«, sagte Stowe. »Und hat eine prima Nase.«
    Stowe starrte mich an und nickte mit dem Kopf. Ich fragte mich, ob das eine besondere Warnung für mich sein sollte.
    »Wie spät haben Sie’s jetzt?« fragte Stowe und klopfte auf seine Uhr. Dicky sagte es ihm nach einem Blick auf seine aufwendige Armbanduhr, die einen Tachometer hatte, einen ewigen Kalender, der bis ins Jahr 2100 auch für die Schaltjahre programmiert war, sowie einen kleinen Mond, der ab- und zunahm. Stowe knurrte und schlug mit der flachen Hand auf sein altes Chronometer, als wollte er es für sein Versagen bestrafen. Dicky erhob sich. »Okay, Gus. Ich komme morgen mit ein paar Ideen wieder zu Ihnen.« Als Stowe den Mund

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    öffnete, um zu widersprechen, sagte Dicky: »Oder vielleicht heute nachmittag.«
    »Jesus Christus«, sagte Stowe. »Ich weiß, wie eifersüchtig Sie Ihr kleines Reich hüten, und kenne die überentwickelte Eigenliebe, die jeden, der es mit der Deutschland-Abteilung zu tun hat, erwischt. Aber wenn Sie denken, ich wüßte nicht, daß Sie letzte Woche beim Deputy D-G waren und Bernards Rückkehr verlangt haben, weil er der einzige Mann für diesen Auftrag sei, dann denken Sie noch mal darüber nach.« Dicky wurde feuerrot vor Ärger oder vor Verlegenheit oder einer Kraftmischung dieser Emotionen, die der englische Gentleman stets unter Kontrolle haben sollte. Zweifellos trug meine Anwesenheit zu seinem Unbehagen bei. »Hat Sir Percy Ihnen das erzählt?« stammelte Dicky.
    »Das hat mir ein kleiner Spion erzählt«, sagte Stowe beißend. Dann: »Ja, was meinen Sie denn, was Sir Percy und ich bei unseren Besprechungen besprechen außer dem, was all ihr Scheißabteilungsleiter ihm vorzujammern habt?« Dicky stand nun und hielt sich an der Lehne des Stuhls fest, auf dem er gesessen hatte wie ein Angeklagter vor Gericht. Verwirrt sagte er: »Ich habe bloß gesagt, das heißt bestätigt … Ich habe Sir Percy nicht mehr gesagt als Ihnen … daß …«
    »Daß Bernard es deichseln könnte? Ja, stimmt. Aber warum kommen Sie dann hier rein und tun so, als wären Sie nicht schon über meinen Kopf gegangen?« Die Fliege erschien, flog eine Runde und ging dann in Warteposition über Stowes Schädel.
    »Ich versichere Ihnen, die Idee, Bernard zu schicken, kam nicht von mir«, sagte Dicky empört. Stowe lächelte grimmig.
    Das war es also. Dieses Treffen war also eigens zu dem Zweck anberaumt worden, einen Streit im Department auszutragen, und es war jetzt klar, daß es bei dem Krach nicht wirklich um die Frage ging, wer zu einem Geheimtreffen mit einer KGB-Delegation geschickt werden sollte. Dieser mit nackten Fäusten

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    ausgetragene Kampf sollte Dickys tollkühnen Vorstoß auf Stowes Territorium zurückschlagen. Mein Pech, daß ich der stumpfe Gegenstand sein sollte, den sich Stowe ausgesucht hatte, um damit Dicky über den Schädel zu hauen. Auf englische Art war Dickys Stimme, als er wütend wurde, leiser geworden. Jetzt begann er eine komplizierte Erklärung, bei der er jedes Wort sorgfältig wog. Dicky war so beleidigt, daß ich mich fragte, ob er nicht vielleicht die Wahrheit sagte. Das würde dann heißen, daß der Deputy meine Rückberufung arrangiert hatte und, um die Tatsache vor Stowe zu verbergen, behauptete, das sei auf Dickys Wunsch geschehen. Ich war entschlossen, mich aus diesem Streit herauszuhalten.
    »Kann ich in mein Büro zurückkehren?« fragte ich. »Ich erwarte einen wichtigen Anruf.« Stowe gab mit der Hand ein Zeichen, das meiner Absicht, das Zimmer zu verlassen, Zustimmung signalisieren, doch auch etwas, das Dicky sagte, zurückweisen mochte. Vielleicht war auch die Fliege damit gemeint. Als ich das Zimmer verließ, überlagerten Stowes Worte Dickys, und Dicky sagte: »Also sehen Sie mal, Gus, ich gebe Ihnen feierlich mein Wort, daß von Bernard nicht die Rede war …«, und dann setzte er sich wieder, als bliebe er noch lange dort. Mit einem Seufzer der Erleichterung trat ich in den Korridor hinaus. Die Fliege kam mit.
    An diesem Abend war ich sehr froh, in mein kleines Haus in der Balaklava Road zurückzukehren. Bislang hatte ich für dieses enge und unbequeme Vororthaus nicht viel Zuneigung empfunden, aber nach meinem kalten und einsamen Bett in Berlin erschien es mir als Paradies. Meine unerwartete Ankunft am Abend zuvor zählte nicht. Heute sollte ich gebührend

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