Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
film was shot.« Hinter dem Empfangspult saß ein zerbrechlich aussehender alter Mann in schwarzem Anzug mit steifem Kragen. Er benutzte eine Feder, die in ein Tintenfaß getaucht werden mußte, und wiegte einen altmodischen Löscher nach jedem Eintrag. Das Hotel war düster, geräumig und bequem. Es war eines jener altmodischen Grandhotels, die in Österreich noch an vielen Orten zu finden sind, und der süße synthetische Geruch von Möbelpolitur hing in der Luft: ein Hinweis auf Handarbeit. Ein altertümlicher Aufzug, aus Messing und Mahagoni gearbeitet, rutschte mit einem keuchenden Geräusch und plötzlichem Klappern in einem Käfig aufwärts, was mich ermahnte, während meines Aufenthalts besser die Treppe zu benützen. Es gab sogar einen Mann in schwarzer Weste und grüner Schürze, der mir den Koffer trug.
    Ein Österreicher namens Otto Hoffmann hatte mich vom Flughafen abgeholt und dafür gesorgt, daß ich ein gutes Zimmer bekam. »Nach hinten mit Blick auf den Fluß«, pries er es mit hartem österreichischem Akzent, und ein kalter Luftzug fuhr mich an, als er das Fenster öffnete und hinaussah, um sich

    - 104 -
    zu vergewissern, daß das Wasser noch da war. »Kein Verkehrslärm, keine Küchendüfte, kein Lärm aus dem Terrassencafé.
    Geben Sie dem Dienstmann zehn Schilling Trinkgeld.« Ich gehorchte.
    Hoffmann war ungefähr vierzig Jahre alt, ein kleiner hyperaktiver Mann mit fröhlichen kleinen Augen, Stupsnase und lächelndem Mund. Sein Benehmen und sein Aussehen –
    die hohe Stirn, die blasse, glatte Haut, die Art, wie seine Gesichtszüge in den kugelrunden Kopf eingepaßt waren, dazu das spärliche Haar – ließen ihn irgendwie den Eindruck eines betrunkenen Babys machen. Ich weiß nicht, wieviel man Hoffmann von »Fledermaus« erzählt hatte, aber er nannte diesen Namen nie. Er wußte, daß ich mich als
    Briefmarkenhändler ausgeben mußte, ohne von dem Geschäft die blasseste Ahnung zu haben, und war offensichtlich wegen seiner einschlägigen Kenntnisse ausgewählt worden.
    »Und jetzt werde ich Ihnen was zu trinken bestellen«, sagte er, schloß das innere Fenster und prüfte mit der Hand die Temperatur des Heizkörpers. Er meinte eine Tasse schwachen Tee. Weil er sein Geld in der Gesäßtasche aufbewahrte, ein dickes Bündel Scheine, das von einem Gummiband
    zusammengehalten wurde, hatte er die verwirrende Angewohnheit, sich auf den Hintern zu klopfen, um zu prüfen, ob sein Geld noch da war. Er tat dies jetzt.
    Während wir in der Halle des Hotels saßen, instruierte er mich. Es war ein höhlenartiger Raum mit einer
    Himmelskuppel, in der Engel umhertollten und ein imponierender Kristallkronleuchter hing. Entlang der Wände standen Topfpflanzen zwischen kleinen Tischen und weichen Sesseln, wo andere Gäste des Hauses, nicht gewillt oder nicht imstande, sich dem Gedränge auf den Straßen auszusetzen, saßen und aus hohen Gläsern Tee mit Zitrone tranken und dazu die üppigen Torten oder die gargantuesken Erfindungen aus

    - 105 -
    Sahneeis und Früchten verzehrten, die den langen österreichischen Tag gliedern. Er bestellte zwei Tee und eine Rumkugel. Sie seien hier ganz köstlich, erzählte er mir, aber ich bemühte mich, Rumkugeln seinzulassen.
    »Bei der Auktion werden fast ausschließlich österreichische und deutsche Werte versteigert«, erklärte er mir. »Der größte Markt dafür ist natürlich in Österreich und Deutschland, aber es werden auch amerikanische Händler da sein und so hoch bieten, wie es ihnen der gegenwärtige Kurs des Dollars gestattet. Auch Landsleute von Ihnen aus London werden dasein. London ist ein bedeutender Umschlagplatz für philatelistisches Material, und es gibt noch immer viele bedeutende deutsche und österreichische Sammler dort. Die meisten sind Emigranten, die vor den Nazis flüchten mußten und später in England geblieben sind.« Die Kellnerin brachte uns umgehend das Bestellte. Der Tee wurde in einem Glas serviert, von dessen kunstvoll gestaltetem versilberten Halter an einer Klammer ein Löffel hing. Sie stellte zwei große Zitronenstücke auf den Tisch und goß großzügig eine alkoholische Flüssigkeit über den glänzenden Biskuitkuchen mit Sahnehaube. »Wollen Sie nicht vielleicht doch …?«
    erkundigte Hoffmann sich noch einmal. Ich schüttelte den Kopf. Die Kellnerin schrieb eine Rechnung, legte diese auf den Tisch und eilte davon.
    »Und was mache ich hier?« fragte ich, ohne die Stimme zu erheben.
    Er runzelte die Brauen. Dann, als er

Weitere Kostenlose Bücher