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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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kurzen, tannengrünen Lodenmantel, modisch mit großen Taschen, Gurten und Schlaufen ausgestattet. Sein Haar war graumeliert und ordentlich geschnitten, und auf dem Kopf trug er eine schicke Lodenmütze. Er redete ohne Einleitung. »Als ich gestern Mozarts Geburtshaus besuchte, war das eins der größten Erlebnisse meines Lebens.« Er hatte eine kräftige Cowboystimme, die die erklärte Gemütsbewegung Lügen strafte. »Getreidegasse 9. Sind Sie schon mal dagewesen?«
    »Einmal … vor langer Zeit«, sagte ich.
    »Man muß früh hingehen«, fuhr er fort, »es füllt sich schnell mit diesen pickelgesichtigen Rucksacktouristen, die Coke aus der Dose trinken.«
    »Ich werde es mir merken«, sagte ich und öffnete meinen Katalog in der Hoffnung, er würde weggehen. »Mozart läßt sich im dritten Stock zur Welt bringen, und das ist unpraktisch,

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    also darf man sich nur das Museum im Erdgeschoß ansehen.
    Irgendwie ist das ja ziemlich blöd, finden Sie nicht?«
    »Mag sein.«
    »Auf Mozart fahr’ ich wirklich ab«, sagte er. »Cosi fan tutte muß das absolut größte Musikerlebnis sein. Na schön, die Kritiker stehen auf Don Giovanni, und Mozarts Frau Constanze erklärte, der Maestro habe Idomeneo für die Nummer eins gehalten, aber Idomeneo war schließlich sein erster durchschlagender Erfolg. Die Kasseneinnahmen, die Idomeneo in München einspielte, machten den jungen Wolfgang über Nacht zum Star. Aber Cosi ist wirklich Spitzenklasse. Nehmen Sie nur die psychologische Einsicht, die dramatische Integrität und die musikalische Eleganz. Yes, Sir, es ist Zucker, Zucker durch und durch. Ich spiele Cosi im Auto; ich kenne jede Note, jedes Wort. Meine Theorie ist, daß die beiden Mädels sich von den Verkleidungen nicht täuschen lassen. Sie wollen sich bei dem Partnertausch amüsieren. Darum geht es nämlich im Grunde: Partnertausch. Mozart konnte das natürlich so direkt nicht sagen, weil das zu anstößig gewesen wäre. Aber überlegen Sie sich’s mal.«
    »Mache ich«, versprach ich.
    »Und soll ich Ihnen mal was erzählen über diesen großartigen kleinen Kerl? Er konnte im Kopf komponieren: Musik, seitenweise. Und dann setzte er sich hin und schrieb sie hintereinander weg auf. Und, wissen Sie, dabei ließ er seine Frau über ihre Teegesellschaften schwatzen und hakte immer wieder nach: ›Und was hast du darauf geantwortet?‹ und ›Was hat sie da zu dir gesagt?‹ Und die ganze Zeit schrieb er an der Partitur eines Requiems oder einer Oper oder eines Streichquartetts und beteiligte sich gleichzeitig an der Unterhaltung. Wie finden Sie das?«
    »Kann nicht einfach gewesen sein«, sagte ich nachfühlend.
    »Ich sehe, daß Sie sich wieder in Ihren Katalog vertiefen wollen. Ich weiß, daß da irgend so eine große

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    Briefmarkensammlerbörse hier im Hotel läuft. Aber ich habe Sie eigentlich nie für einen Briefmarkensammler gehalten, Bernie.«
    Ich versuchte, nicht gleich zu reagieren. Langsam hob ich meine Augen zu seinen und sagte: »Ich sammle
    Luftpostumschläge.« Er lächelte.
    »Sie erkennen mich nicht wieder, stimmt’s, Bernie?« Ich versuchte, sein Gesicht in irgendeinen Zusammenhang zu bringen, erkannte ihn aber trotzdem nicht.
    »Nein«, sagte ich.
    »Na ja, warum sollten Sie auch. Aber ich erinnere mich, Sie gesehen zu haben, als ich noch mit Peter Underlet im gleichen Büro saß, und dann ist Underlet nach Djakarta, und ich bin nach Bonn, wo ich dann für Joe Brody gearbeitet habe. Mein Gott, Bernie. Haben Sie das vergessen?«
    »Nein«, log ich, obwohl ich’s vergessen hatte. Dieser Mann war ein Fremder für mich.
    »Auf Urlaub, was?«
    »Ich hatte noch ein paar freie Tage.«
    »Und da sind Sie nach Salzburg. Na klar, scheiß auf die Sonne. Hier sollte man hinfahren, wenn man dem ganzen Laden wirklich mal den Rücken kehren will. Sind Sie …«, er hielt inne und fügte dann diskret hinzu, »… mit irgend jemand zusammen?«
    »Mutterseelenallein«, sagte ich.
    »Ich wünschte, wir könnten zusammen essen«, sagte der Mann bedauernd. »Aber ich muß heute abend in Wien zurück sein. Und morgen fliege ich nach Washington, D.C.«
    »Schade«, sagte ich.
    »Ich mußte aber einfach diese Wallfahrt machen«, sagte er.
    »Es gibt Sachen, die man einfach machen muß. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und viel Glück beim Briefmarkensammeln. Was sagten

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    Sie noch, sei Ihr Spezialgebiet … Zeppelinpost?«
    »Ja«, antwortete ich, aber natürlich hatte ich ihm das

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