Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Olmesdahl
Vom Netzwerk:
Schritt zurück und Sally griff ins Leere. Schnell schüttelte Sally ihrer Mutter die Hand. Sie schüttelten noch viele Hände und hörten aufmunternde Worte. Anna bekam kaum etwas davon mit.
    »Hey.«
    Sie blickte auf und sah in Kevins Gesicht. »Hey.« Der Versuch, ein Lächeln aufzusetzen, missglückte.
    Kevin gehörte zu den Menschen, die sie jetzt gern in den Arm genommen hätte. Er kannte Eva und er mochte sie.
    Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, zog er sie an sich heran. Es tat gut, das Gesicht an seine starke Schulter zu lehnen.
    »Es tut mir so leid, Anna. Ich wünschte, ich könnte etwas tun«, flüsterte er in ihr Ohr.
    »Ich will hier weg«, antwortete sie und löste sich aus seiner Umarmung.
    Ihre Mutter nickte ihr zu, als sie ihren Blick auffing. »Geh nur, ich werde mit dem Rest allein fertig.«
    Schweigsam lief Anna neben Kevin her Richtung Friedhofsausgang. Der Duft vieler Blumen und Pflanzen erfüllte die Luft. Die Gräber entlang des Weges verwandelten den trostlosen Ort in ein buntes Farbenmeer.
    Eine Frau stach ihr ins Auge, sie trug ebenfalls schwarz und hatte einen Schleier tief ins Gesicht gezogen. Sie stand abseits, Anna kannte sie nicht. Neugierig fixierte sie die Gestalt, aber die Frau verharrte still auf ihrem Platz.
    »Wie geht es dir?«
    Anna wandte den Blick ab. »Es ist schrecklich. Ich fühle mich, als wäre ein Teil von mir gestorben.«
    »Möchtest du darüber reden?«
    Anna schüttelte den Kopf. »Aber ich will zum Meer.« Sie überquerten den Parkplatz und gingen auf ihren Vater und Sally zu, die bereits am Auto standen.
    »Paps?«
    Er drehte sich um und sah sie an. Es wirkte, als sei ihr Vater über Nacht gealtert, neben Sally sah er aus wie ein alter Mann. Das graue, eingefallene Gesicht und die herunterhängenden Schultern zeigten, wie schlecht es ihm ging. Nach der Trennung von ihrer Mutter hatte er die Freundschaft zu Eva nicht aufgegeben. Ihn schmerzte ihr Tod ebenfalls.
    »Kannst du auf Mama warten und sie in das Lokal fahren? Ich halte das nicht aus.«
    Er nickte. »Natürlich, wir warten auf sie. Sie muss jetzt nicht allein sein.«
    Sallys Blick veränderte sich feindselig, aber Eifersucht war fehl am Platz. Bevor Anna noch etwas Dummes sagte, bedeutete sie Kevin, schnell weiterzugehen.
    Den Weg bis zum Wasser sprachen sie nicht, doch es tat gut, Kevin bei sich zu haben. Anna verband ihn mit ihrer Tante, er gehörte in die nordische Welt.
    Sie ließen sich einige Meter von der See entfernt im Gras nieder und Anna setzte sich im Schneidersitz hin. Die frische Seeluft kühlte ihr Gesicht. Der Knoten in ihrer Brust löste sich zum ersten Mal seit Evas Tod.
    »Die Polizei tappt im Dunkeln.«
    Natürlich tappte die Polizei im Dunkeln, denn wenn Anna mit ihrer Vermutung richtig lag, hatte ein Geist Eva getötet. Sie wusste zu wenig von diesen Dingen und wollte nicht beschwören, dass das überhaupt möglich war. Aber es gab keine Einbruchspuren und nichts war gestohlen worden. Zudem zierte ein Beschwörungskreis den Tatort.
    »Der Mörder ist bereits tot«, antwortete Anna leise. Sie wusste nicht, ob Kevin sich für dieses Gespräch eignete, aber sie hatte das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. Sie hoffte, er würde ihr glauben.
    »Die Polizei kennt den Täter?«
    Anna schüttelte heftig den Kopf. »Nein und sie können ihn auch nicht kennen. Kann ich dir was erzählen?«
    »Natürlich, alles.«
    »Meine Tante war ein Medium.«
    »Du meinst, sie konnte mit Toten sprechen?«
    Der Unterton in seiner Stimme entging ihr nicht, trotzdem fasste sie sich ein Herz. »Ja, und ich habe ihre Gabe geerbt.«
    Kevins Gesichtsausdruck veränderte sich von skeptisch zu traurig, er zog wohl die falschen Schlüsse. »Anna, ich weiß, der Gedanke hilft dir bestimmt. Aber du musst akzeptieren, dass Eva tot ist. Du kannst nicht wieder mit ihr sprechen.«
    »Das will ich auch nicht! Ich will ihr Gesicht nie wieder sehen müssen, aber ich kann dieses Talent nicht kontrollieren. Dauernd wird mir kalt und eine seltsame Melodie schwirrt mir im Kopf herum. Ich will das nicht!« Verzweiflung übermannte sie und die Gefühle spiegelten sich in ihrer Tonlage wider.
    Kevin sah aus, als wüsste er nicht, wie er reagieren sollte. Besorgt und verständnislos zugleich blickte er sie an. Er wirkte überfordert. Aber wie sollte er das auch verstehen können? Anna hörte auch, wie unglaubwürdig das alles klang.
    »Anna Graf?«
    Die Frauenstimme ließ sie zusammenfahren. Sie blickte über die Schulter.

Weitere Kostenlose Bücher