Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
Augen öffne. Ich fühle mich ausgeschlafen wie ewig nicht. Als erstes sehe ich, dass die schweren gelben Vorhänge mit den pinkfarbenen Bordüren geöffnet sind. In romantischen Bögen liegen sie über seitlichen Halterungen. Wunderschöne Sprossenfenster aus weiß lackiertem Holz eröffnen einen Blick in den blassblauen Himmel, über den sich dünne Schleierwolkenreste ziehen. Dann wird mir klar, wo ich mich befinde.
Mit einem Satz springe ich aus dem Bett. Und knicke erstmal um. Stoßartig atme ich aus, während ich auf die High Heels starre, in denen meine in Mull gewickelten Füße stecken. Was habe ich mir gestern Abend bloß dabei gedacht, so viel zu trinken? Aber jetzt ist weder die Zeit für Selbstvorwürfe, noch für Selbstmitleid. Mit zusammen gebissenen Zähnen kicke ich die Schuhe quer durch das Zimmer, massiere kurz meine Knöchel und trete überraschend leichtfüßig an das äußerste der vier Fenster. Endlich kann ich sehen, wo wir sind und die Flucht vorbereiten. Nur darauf kommt es jetzt an.
Über Nacht ist Schnee gefallen. Keine Massen, aber genug, um die Welt in weiße Farbe zu tunken. Leider gibt es sehr viel Welt da draußen. Weite, weiße Felder und Unmengen an weißen Bäumen, soweit das Auge reicht. Kein Haus, keine Straße, weder Mensch, noch Tier. Am Himmel zieht ein einzelner Düsenjet einen Kondensstreifen hinter sich her.
Vor meinem inneren Auge tauchen abendfüllende Spielfilme auf, in denen verschollen geglaubte Menschen durch die Antarktis irren. Das ist das absolute Niemandsland da draußen. Sofern es Mutter und mir gelingen sollte, das Schloss zu verlassen, geht das Problem erst richtig los.
Vorsichtig klopfe ich gegen die nicht nur doppelt, sondern sogar dreifach verglaste Scheibe. Um dieses Glas zu zerstören, braucht es Sprengstoff. Schon ein wenig entmutigt untersuche ich die Stelle, an der einst ein Griff in dem Fensterrahmen steckte. Jemand hat eine Metallplatte davor geschraubt und weiß gestrichen. Das sieht doch vielversprechend aus.
„Mama? Schläfst du noch?“ , rufe ich, während ich mich nach einem Werkzeug umsehe und auch gleich fündig werde. Eine der Halterungen, auf denen die Vorhänge liegen, müsste geeignet sein, die Metallabdeckung am Fenster zu lösen.
Nicht zimperlich rüttele ich an der Halterung links von mir. Das Ding ist in die Wand einbetoniert und bewegt sich keinen Millimeter. Dasselbe mit der Halterung auf der rechten Seite des Fensters. Ich brauche Hilfe und ein Paar feste Schuhe. Vielleicht können Mutter und ich gemeinsam eine der Halterungen aus der Wand treten.
Zielstrebig marschiere ich durch die sperrangelweit geöffnete Verbindungstür in Mamas Zimmer. Das Bett ist frisch gemacht, das Bad glänzt. Von meiner Mutter keine Spur. Das muss kein schlechtes Zeichen sein. Erwartungsfroh drücke ich die Türklinke runter. Doch nichts. Die Tür ist noch genauso verschlossen wie gestern.
Jetzt packt mich dann doch die Panik. Wo zum Teufel steckt meine Mutter?
Mit den Augen suche ich das Zimmer nach einer Nachricht ab. Aber weder auf dem Sekretär, noch auf dem Bett liegt ein Zettel. Wie auch? Schon gestern gab es nichts zum Schreiben in diesem Raum. Das wird sich über Nacht kaum geändert haben.
Reichlich ratlos und aufgeregt bis zum Anschlag laufe ich durch die beiden Zimmer, auf der Suche nach einem Werkzeug, mit dem ich eine Tür oder ein Fenster aufbrechen kann, und lande schließlich in meinem Bad, wo ich ebenfalls nichts finde. Außer Schreien und Türklopfen, kann ich nur warten.
Vor lauter Verzweiflung lasse ich Wasser in die Wanne einlaufen und befreie meine Füße von den weißen Mullbinden. Erfreulicherweise sind von den Eiterblasen nur noch ein paar rote Flecken übrig. Tief beeindruckt von der Wunderheilung sowie von der Geschwindigkeit, in der die Wanne vollläuft, gebe ich einen hellen Badezusatz ins Wasser, der nach Vanille duftet, und steige in das dampfende Nass. Sofort tauche ich unter, in der Hoffnung auf eine wundersame Idee, die mich aus meinem Schlamassel befreit. Doch das einzige, das mich ereilt, ist ein zwiebelnder Schmerz an meinem Hintern. Als ich jammernd aus dem Wasser hochschieße, dringt ein Klopfen laut und deutlich an meine mit Wasser vollgelaufenen Ohren und ich tauche umgehend wieder unter. Da die Wanne so ausgerichtet ist, dass ich direkt zur Türe sehe, entdecke ich auf dem Wege in das Schmerz bringende Nass auch gleich die Hand, die für das Klopfen verantwortlich ist. Es ist eine Männerhand, der
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