Gefährliche Begierde
Prozedur, ja? Sie dürfen das Land nicht verlassen. Genau genommen dürfen Sie schon die Stadtgrenze von Bass Harbour nicht passieren. Bleiben Sie die ganze Zeit in Kontakt und laufen Sie nicht herum, ich wiederhole; laufen Sie nicht herum, um Ihren Fall zu diskutieren. Mein Job ist auch so schon schwer genug.«
»Und wir wollen unsere Fähigkeiten nicht überstrapazieren, oder?« murmelte sie vor sich hin.
Er schien den Kommentar nicht gehört zu haben. Vielleicht ignorierte er sie auch nur. Er schritt aus der Zelle und warf ihr noch einmal einen Blick zu. »Wir können uns immer noch mit der Anklage einigen.«
Sie sah ihm in die Augen. »Nein.«
»Auf diese Weise könnten wir den Schaden begrenzen. Sie könnten mit zehn Jahren davonkommen anstatt mit fünfundzwanzig.«
»Ich habe ihn nicht getötet.«
Pelham erwiderte ihren Blick, bis er sich mit einem ungeduldigen Schulterzucken von ihr abwandte. »Einigen Sie sich mit der Gegenseite«, sagte er, »das rate ich Ihnen. Denken Sie darüber nach.«
Sie dachte den ganzen Nachmittag, als sie in der düsteren Zelle saß und auf ihre Entlassungspapiere wartete, darüber nach. Doch sobald sie aus dem Gebäude heraustrat und als freie Frau im Sonnenschein wandelte, erschien ihr selbst der Handel um zehn Jahre ihres Lebens als unvorstellbar. Sie stand auf dem Bürgersteig und blickte in den Himmel, während sie die süßeste Luft, die sie in ihrem Leben je eingeatmet hatte, tief inhalierte.
Dann entschied sie sich, den einen Kilometer bis zu ihrem Haus zu Fuß zu gehen.
Als nach einer Weile ihr Vorgarten in Sicht kam, waren ihre Wangen gerötet und die Muskeln angenehm entspannt. Das Haus sah genauso aus wie immer, ein Schindeldach-Cottage mit einem gepflegten Rasen – den irgend jemand offensichtlich während ihrer Abwesenheit gewässert hatte – einem gepflasterten Fußweg, einer Hecke aus Hortensienbüschen, die von einem weißen Blütenteppich bedeckt war. Das Haus war nicht groß, aber es gehörte ihr.
Sie ging den Fußweg entlang und entdeckte die bösartigen Worte, die jemand auf die Fensterscheibe geschmiert hatte, erst, als sie die Veranda betrat. Zutiefst verletzt von der Grausamkeit dieser Botschaft blieb sie stehen.
Mörderin In einem plötzlichen Wutanfall
, wischte sie mit ihrem Ärmel über das Glas. Die anklagenden Worte verwandelten sich in schmierige Streifen. Wer konnte so etwas Schreckliches geschrieben haben? Bestimmt keiner ihrer Nachbarn. Kinder. Ja, so musste es gewesen sein. Ein Haufen Punks. Oder Sommerfrischler. Nicht aber die Leute, die sie täglich umgaben, die das ganze Jahr hier wohnten.
An der Haustür zögerte sie, beinahe ängstlich, doch schließlich drehte sie den Türknauf und ging hinein.
Zu ihrer Erleichterung stellte sie drinnen fest, dass alles in Ordnung war, so wie es eben sein sollte. Am Ende des Tisches lag eine Rechnung von der Reinigungsfirma.
»Komplettreinigung«, las sie auf der Arbeitsanweisung für das Personal. »Besondere Aufmerksamkeit auf das Schlafzimmer richten. Flecken entfernen.« Die Anweisung war von ihrem Nachbarn unterschrieben worden. Gesegnet sei Mr. Lanzo. Dann begab sie sich langsam auf Inspektionstour. Sie schaute in die Küche, das Badezimmer, das Gästezimmer. Ihr Schlafzimmer ließ sie aus, weil es ihr zu schmerzhaft war, sich damit zu konfrontieren. Sie stand in der Diele und nahm das ordentlich gemachte Bett, den gewachsten Boden und den fleckenfreien Teppich in Augenschein. Es gab keine Anzeichen eines Mordes; keine Anzeichen von Tod, sondern nur ein sonniges Schlafzimmer mit schlichten Bauernmöbeln. Sie stand da und nahm alles bedächtig in sich auf. Sie bewegte sich nicht einmal, als das Telefon im Wohnzimmer klingelte. Nach einer Weile hörte es auf.
Sie ging ins Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett. Jetzt wirkte alles, was sie hier gesehen hatte, wie eine schlechter Traum. Wenn ich mir nur genug konzentriere, dann wache ich auf, dachte sie. Ich werde herausfinden, dass es nur ein Albtraum war. Dann starrte sie auf den Boden und entdeckte am Fußende des Bettes einen braunen Fleck auf den Eichendielen.
Sie stand sofort auf und verließ das Zimmer, gerade als das Telefon im Wohnzimmer erneut klingelte. Da griff sie automatisch nach dem Hörer. »Hallo?«
»Lizzi Borden schlägt die Axt, bis Mama der Schädel knackst. Als sie sieht, was sie getan, kommt auch noch der Vater dran!«
Miranda ließ den Hörer fallen. Sie sprang vor Schreck einen Schritt zurück und starrte auf den
Weitere Kostenlose Bücher