Gefährliche Begierde
sprechen.«
»Die Chefredakteurin?«
Miranda nickte. »Sie wusste, dass der Artikel in Arbeit war, aber sie war nicht gerade begeistert von der Idee. Richard war die treibende Kraft. Er war sogar bereit, eine Verleumdungsklage zu riskieren. Tatsächlich hatte Tony Graffam bereits damit gedroht.«
»Also haben wir einen passenden Verdächtigen. Tony Graffam. Sonst noch jemand?«
Sie zögerte. »Richard war kein beliebter Mann.«
»Richard?« Er schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Ich war der Bruder mit dem Beliebtheitsproblem.«
»Vor zwei Monaten hat er die Gehälter beim Herald stark gekürzt und ein Drittel der Mannschaft vorübergehend entlassen.«
»Ah, dann haben wir noch mehr Verdächtige.«
»Er verletzte Menschen. Familien …«
»Inklusive seiner eigenen.«
»Sie wissen nicht, wie schwer es heutzutage ist! Wie verzweifelt die Leute nach Arbeit suchen. Oh, er hatte eine gute Geschichte parat. Darüber, wie Leid es ihm tat, Leute entlassen zu müssen und dass es ihn genauso sehr schmerzte wie die Betroffenen. Das war Schwachsinn. Ich hörte ihn später mit seinem Buchhalter darüber sprechen. Er sagte: ›Ich habe die toten Äste weggeschnitten, genau wie Sie mir geraten haben.‹ Tote Äste. Diese Angestellten hatten seit Jahren für den Herald gearbeitet. Richard hatte Geld. Er hätte den Verlust tragen können.«
»Er war ein Geschäftsmann.«
»Richtig. Genau das war er.« In einem Windstoß tanzten ihre Haare wie Flammen um ihren Kopf. Sie war wie ein wildes, loderndes Feuer voller Wut auf ihn, auf Richard und auf die Tremains.
»Also haben wir noch ein paar Verdächtige mehr«, sagte er. »All diese armen Seelen, die ihre Jobs verloren haben und ihre Familien. Warum nicht auch noch Richards Kinder? Sein Schwiegervater? Seine Frau?«
»Ja, Evelyn. Warum auch nicht?«
Chase schnaubte vor Abscheu. »Sie sind sehr gut, wissen Sie das? Im Nebelwerfen. Doch mich haben Sie nicht überzeugt. Ich hoffe, die Geschworenen sind auch so schlau. Himmel, ich hoffe, sie durchschauen Sie und lassen Sie dafür büßen.«
Sie betrachtete ihn schweigsam. Plötzlich war das ganze Feuer und ihr ganzer Mut aus ihrem Körper verschwunden.
»Ich habe schon dafür gebüßt«, flüsterte sie. »Und ich werde den Rest meines Lebens dafür büßen. Weil ich schuldig bin. Nicht, weil ich ihn getötet habe. Ich habe ihn nicht umgebracht.« Sie schluckte und wandte ihre Blick von ihm ab. Er konnte ihr Gesicht zwar nicht mehr sehen, aber er konnte ihre gequälte Stimme hören. »Mich trifft die Schuld, dumm zu sein. Und naiv. Die Schuld, Vertrauen zum falschen Mann gehabt zu haben. Ich dachte wirklich, ich liebte Ihren Bruder. Aber das war, bevor ich ihn kannte. Und dann, als ich ihn kannte, versuchte ich, von ihm loszukommen. Ich wollte es tun, so lange wir noch Freunde … waren.«
Er sah, wie ihre Hand nach oben schnellte und wie sie sich rasch das Gesicht abwischte. Plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke, wie tapfer sie doch auch war. Nicht dreist, wie er zuerst gedacht hatte, als er sie heute sah, sondern wirklich herzzerreißend mutig.
Sie hob den Kopf. Ihr Blick blieb auf gleicher Höhe mit seinem. Die Tränen, die sie versucht hatte wegzuwischen, glänzten immer noch auf ihren Lidern. Er spürte ein plötzliches, unerklärliches Bedürfnis danach, ihr Gesicht zu berühren und ihr die Tränen zu trocknen. Und wie absurd es auch sein mochte, er spürte die Lust eines Mannes herauszufinden, wie ihre Lippen schmeckten und wie sich ihr Haar anfühlte. Sofort trat er einen Schritt zurück, als ob er sich vor einer gefährlichen Flamme in Sicherheit bringen wollte. Jetzt weiß ich, warum du ihr verfallen warst, Richard. Unter anderen Umständen wäre mir dasselbe passiert.
»Zum Teufel«, murmelte sie voller Abscheu. »Was spielt es für eine Rolle, was ich empfand? Für Sie oder für sonst irgendwen?« Sie ließ ihn, ohne sich noch einmal umzuschauen, stehen und ging die Auffahrt entlang. Ihr abrupter Aufbruch schien eine nicht zu füllende Lücke zu hinterlassen.
»Ms. Wood!« schrie er. Sie ging weiter. »Miranda!« rief er. Da blieb sie stehen. »Ich habe eine Frage an Sie«, sagte er. »Wer hat Sie aus dem Gefängnis geholt?«
Sie wandte sich langsam um und sah ihn an. »Sagen Sie es mir«, meinte sie.
Und damit ließ sie ihn stehen.
Es war ein langer Spaziergang bis zum Verlagsgebäude. Er führte Miranda an bekannten Straßen und Schaufenstern vorbei und, was das Schlimmste war, an bekannten
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