Gefährliche Begierde
Tremain bestand darauf, dass ich das Testament aufnehmen sollte. Also, respektierte ich seinen Wunsch. Ich hätte es Ihnen schon eher zur Kenntnis gegeben, aber ich war ein paar Wochen lang nicht in der Stadt und habe erst gestern Abend von Mr. Tremains Tod erfahren.«
»Das ist merkwürdig«, sagte Evelyn. »Warum hätte Richard ein neues Testament aufsetzen sollen? Und woher sollen wir wissen, ob das wirklich Richard war?«
»Er war es«, bestätigte Hardee. »Ich erkenne seine Unterschrift.«
Es folgte eine lange Pause.
»Gut«, meinte Evelyn schließlich. »Lassen Sie es uns hören, Les. Was wurde geändert?«
Hardee setzte seine Brille auf und begann laut vorzulesen. »Ich, Richard Tremain und im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte …«
»Oh, lassen Sie diesen Quatsch!« fauchte Noah.
»Kommen Sie zum Punkt. Was ist neu an diesem Testament?«
Hardee sah auf. »Das meiste ist unverändert. Das Haus, gemeinsame Konten und das darauf befindliche Vermögen gehen an Mrs. Tremain. Dann gibt es einige großzügige Treuhandkonten zugunsten der Kinder und ein paar persönliche Dinge, die er seinem Bruder hinterlassen hat.«
»Und was ist mit dem Rose Hill Cottage?« fragte Noah. An dieser Stelle rückte Mr. Hardee seinen Stuhl. »Vielleicht sollte ich es doch vorlesen.« Er blätterte sechs Seiten weiter und räusperte sich. »Die Landparzelle an der Nordküste, die sich inklusive der Zufahrtsstraße auf ungefähr vierzig Ar erstreckt, sowie das Gebäude, bekannt als Rose Hill Cottage, vermache ich …« Hier machte Hardee eine Pause.
»Was ist mit Rose Hill Cottage?« drängte Evelyn.
Hardee holte tief Luft. »Vermache ich meiner lieben Freundin und Gefährtin, Miranda Wood.«
»Zum Teufel«, sagte Noah.
Draußen auf der Straße vor Hardees Büro saßen Noah und Evelyn schweigend nebeneinander im Wagen. Es herrschte eine angespannte Stille zwischen ihnen. Die anderen hatten zu Noahs Erleichterung beschlossen, den Weg nach Hause zu laufen. Er brauchte diese Zeit, um mit Evelyn alleine zu sein.
Schließlich fragte Noah leise: »Gibt es irgendetwas, das du mir sagen willst, Evelyn?«
»Was meinst du, Vater?«
»Irgendetwas. Über Richard.«
Sie betrachtete ihren Vater. »Erwartest du, dass ich etwas zu sagen habe?«
»Du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Wir sind eine Familie und das ist alles, was zählt. Eine Familie hält zusammen. Wenn nötig sogar gegen Rest der Welt.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Noah sah seiner Tochter in die Augen. Die Augen seiner Frau hatten denselben Grünton gehabt. Da saß der einzige Mensch auf der Welt, den er immer noch liebte. Ruhig und ohne das geringste Anzeichen von Unbehagen erwiderte seine Tochter seinen Blick. Ja, sie war stark. Sie konnte allem standhalten. In dieser Hinsicht war sie wirklich eine DeBolt.
»Ich würde alles für dich tun, Evelyn. Alles. Du musst mich nur darum bitten.«
Sie richtete ihren Blick nach vorne. »Dann bring mich nach Hause, Dad.«
Er startete den Wagen und steuerte ihn in Richtung Chestnut Street. Während der ganzen Fahrt sprach sie kein Wort. Sie war eine stolze Frau, seine Tochter. Obwohl sie ihn nie darum bitten würde, benötigte sie seine Hilfe. Und sie würde sie bekommen.
Was auch immer getan werden musste
, dachte er.
Es wird erledigt.
Immerhin war Evelyn sein Fleisch und Blut, und er konnte sein Fleisch und Blut nicht ins Gefängnis gehen lassen.
Selbst, wenn sie schuldig war.
Ihr Garten war immer schon ihr Zufluchtsort gewesen. Hier hatte Miranda Stockrosen und Rittersporn, Schleierkraut und Akeleien gepflanzt. Sie kümmerte sich nicht um Farb- oder Landschaftsgestaltung, sondern versenkte die Pflanzen einfach in der Erde, streute Samen und überließ ihren Garten dem Dschungel aus wildem Wein und Blumen. Sie waren in der letzten Woche vernachlässigt worden, die armen Dinger. Ein paar Tage ohne Gießen hatten staubige Blüten hinterlassen. Doch jetzt, wo sie zu Hause war, sahen ihre Babies schon wieder glücklicher aus, und seltsamerweise war sie ebenfalls glücklich. Die Sonne wärmte ihren Rücken, während ihre Hände den Lehmboden bearbeiteten. Das war alles, was sie brauchte. Frische Luft und Freiheit. Wie lange werde ich beides noch haben?
Sie verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder und stach die Spitzhacke in die verhärtete Erde. Sie würde den Boden ein wenig umgraben und das Beet mit den Ganzjährigen um einen Meter erweitern. Dann lehnte sie die Spitzhacke gegen
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