Gefährliche Begierde
Distanz. Sein ganzer Zorn, der sich seit dem Morgen in Les Hardees Büro in ihm aufgestaut hatte, war plötzlich verraucht. Stattdessen spürte er nun eine Wut auf Richard. Goldjunge Richard, der immer bekommen hatte, was er wollte. Richard, der Erstgeborene, mit dem typischen hellen Haar und den blauen Augen der Tremains, hatte alles, was er je begehrte, mit Charme und Witz erobert. Doch sobald er sein Ziel erreicht hatte, verlor er das Interesse daran.
Das war seine Art, mit Frauen umzugehen. Richard hatte Evelyn DeBolt gewollt, und er hatte sie bekommen. Natürlich hatte er sie heiraten müssen. Mit Noah DeBolts einzigem Kind spielte man keine Spielchen. Doch nachdem er den Preis gewonnen hatte, wurde es ihm langweilig mit seiner Frau. Das war Richard: immer alles haben, aber nie zufrieden sein.
Und da war die einzige Frau, der einzige Preis, den er nicht hatte halten können. Welch eine bescheidene Frau, dachte Chase und spürte einen merkwürdigen Knoten in seinem Hals. War es Mitleid oder Sympathie? Er konnte es nicht unterscheiden.
Er setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. »Sie … wirken, als ob sie sich von der letzten Nacht erholt hätten.«
»Nur noch ein bisschen Muskelkater, das ist alles.« Sie zuckte mit den Achseln, so als wüsste sie, dass es ihn unmöglich interessieren konnte, wie sie sich fühlte. Welches Durcheinander auch immer in ihrem Kopf herrschte, sie verbarg es geschickt. »Ich habe Annie heute Morgen nach Hause geschickt. Ich sah nicht ein, warum sie hätte hier bleiben sollen.«
»Vielleicht aus Sicherheitsgründen?«
»Wovor sollte ich mich in Sicherheit bringen sollen?«
»Das, was gestern passiert ist, war kein Unfall.«
Sie schaute hoch. »Im Moment bin ich nicht schrecklich beliebt in dieser Stadt, doch ich kann mir kaum vorstellen, dass einer dieser aufrechten Bürger jemanden überfahren möchte.«
»Immerhin hat einer dieser aufrechten Bürger Mr. Lanzos Wagen gestohlen.«
»Der arme Eddie.« Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt wird er erst recht keine Ruhe mehr finden. Er wittert doch ohnehin schon überall nur Verbrecher und Gauner.«
»Ja. Er erwähnte es letzte Nacht bereits. Und irgendetwas über Spanner.«
Sie lächelte. »Eddie wuchs in Chicago auf. Er hat die Angst vor der gefährlichen Großstadt nie abgelegt. Neulich schwor er, dass er einen Wagen gesehen hat, aus dem heraus jemand mein Haus beobachtet hat …« Plötzlich machte sie eine Pause und runzelte die Stirn. »Wissen Sie, ich habe seinen Geschichten nie viel Aufmerksamkeit gewidmet, aber jetzt, wo ich darüber nachdenke …«
»Wann hat er Ihnen das mit dem Wagen erzählt?«
»Vielleicht vor ein oder zwei Monaten.«
»Vor Richards Tod also.«
»Ja, es hat vermutlich nichts miteinander zu tun.« Sie seufzte. »Es ist nur der arme, verrückte Eddie.« Dann stand sie auf. »Ich werde mich umziehen. So wie ich aussehe, kann ich nicht zum Anwalt gehen.«
»Möchten Sie das wirklich jetzt gleich erledigen?«
»Ich muss. Denn ich werde mich nicht sauber fühlen, bis ich es nicht getan habe. Und frei von ihm.«
»Dann rufe ich den Anwalt an.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Wir können die Fähre nach Bass Harbour gerade noch erreichen.«
»Bass Harbour? Ich dachte, Les Hardee ist Richards Anwalt.«
»Ist er, aber sein letzter Wille wurde von einem Anwalt namens Vernon FitzHugh aufgezeichnet. Kennen Sie ihn?«
»Nein, Gott sei Dank nicht.« Sie wandte sich ab und ging in die Diele hinaus. »Sonst hätten Sie mich und Mr. FitzHugh vielleicht noch des Betrugs verdächtigt.« Dann verschwand sie im Schlafzimmer.
Chase sah, wie die Tür hinter ihr zu fiel. »Ja«, murmelte er, »dieser Gedanke ist mir tatsächlich in den Sinn gekommen.«
Vernon FitzHugh erwartete sie bereits. Umso überraschter war er, als er den wahren Grund ihres Besuches erfuhr.
»Haben Sie das wirklich gründlich durchdacht, Ms. Wood? Wir sprechen hier über eine erstklassige Immobilie. Die Nordküste wurde gerade erst erschlossen, und ich erwarte, dass ihr Eigentum in ein paar Jahren viel wert sein wird. Mehr als …«
»Es hätte mir niemals zufallen dürfen«, sagte Miranda.
»Es gehört der Tremain Familie.«
FitzHugh schaute besorgt auf Chase und bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Vielleicht sollten wir das unter vier Augen besprechen, Ms. Wood. Wenn Mr. Tremain so lange draußen warten …«
»Nein, ich möchte, dass er bleibt. Ich möchte, dass er jedes Wort hört.« Sie schenkte FitzHugh einen
Weitere Kostenlose Bücher