Gefährliche Begierde
dass er das geschrieben hat. Da ist ein Fehler drin. Hier wird behauptet, mein Cottage liegt in St. John’s Wood, aber es liegt drei Meter über der Linie auf dem Tremain Grundstück. Ein Gutachterfehler von vor siebzig Jahren. Richard wusste das.«
Jetzt runzelte Chase die Stirn. »Ich habe das mit ihrem Cottage noch nie gehört.«
»Ja, das Land Ihrer Familie geht bis hinter die zweite Steinmauer. Es schließt die gesamte Zufahrtsstraße ein. Sodass der Rest von uns, technisch gesehen, Nutzer Ihrer Privatstraße ist. Nicht, dass das jemals wichtig gewesen wäre. Wir waren immer wie eine große Familie hier draußen, aber jetzt …« Sie schüttelte den Kopf. »So viele Fremde auf der Insel. Die ganzen Touristen aus Massachusetts.« Sie ließ den Bundesstaat wie eine Kolonie aus der Hölle klingen.
»Ist Stone Coast Trust auf Sie zugekommen?« fragte Miranda, »wegen eines Verkaufs von St. John’s Wood?«
»Sie sind auf jeden in dieser Straße zugekommen. Ich habe natürlich abgelehnt. So wie Richard. Das hat das Projekt blockiert. Ohne Rose Hill würde Stone Coast nur eine lose Sammlung kleiner Grundstücke gehören. Doch nun …« Sie seufzte traurig. »Ich stelle mir vor, wie Evelyn in diesem Moment ihren Füller unter den Kaufvertrag hält.«
»Das tut sie nicht«, sagte Chase. »Rose Hill ging nicht an Evelyn. Richard hat es Miranda hinterlassen.«
Miss St. John starrte sie an. »Nun, das ist eine ganz und gar unerwartete Entwicklung«, meinte sie nach einer längeren Pause.
»Auch für mich«, erklärte Miranda.
Während Miss St. John sich in Gedanken versunken zurücklehnte, sammelten Miranda und Chase die restlichen Papiere auf. Sie fanden noch mehr Rechercheunterlagen, ein paar Zeitungsausschnitte, alte Kalkulationen des Herald. Offensichtlich hatte Richard das Cottage als Zweitbüro genutzt. Hatte er hier die heikelsten Unterlagen aufbewahrt? Miranda fragte sich das, als sie ein ganzes Bündel von Persönlichkeitsprofilen entdeckte. Wie die Seite über Miss St. John, war die darin enthaltene Information in höchstem Maße persönlich.
In manchen Fällen war es geradezu schockierend. Sie war überrascht zu lesen, dass Forrest Mayhew, der örtliche Bankpräsident, in Boston wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen worden war. Und dass der Stadtrat George LaPierre, seit dreißig Jahren verheiratet, im letzten Jahr wegen einer Syphilis behandelt wurde. Dass gegen Dr. Steiner – ihren Hausarzt – wegen Betrugs der staatlichen Krankenversicherung ermittelt wurde.
Sie überreichte Chase die Papiere. »Sieh dir das an! Richard sammelte den Dreck von sämtlichen Bewohnern der Stadt!«
»Hier, was ist das?« fragte er. Da klebte ein gelbes Papier auf der Rückseite einer Mappe. Darauf stand handgeschrieben: »Mr. T., wollen Sie mehr? Dann lassen Sie es mich wissen.« Es war mit »W.B.R.« unterschrieben.
»Also hat Richard das nicht selbst recherchiert«, sagte Miranda. »Diese Person W.B.R. – wer immer das war – muss diesen Bericht verfasst haben.«
»Gibt es vielleicht jemanden in der Redaktion mit diesen Initialen?«
»Nein, im Moment nicht.« Sie griff nach einer Mappe, die auf dem Boden lag. »Sieh mal, da ist eine weitere Notiz von W.B.R.« Diesmal war der Zettel mit einer Büroklammer an der Hülle befestigt. »Alles, was ich bekommen konnte. Sorry, W.B.R.«
»Was ist da drin?« fragte Miss St. John.
Miranda öffnete die Mappe und starrte hinein. »Das ist es! Die Unterlage über Stone Coast Trust!«
»Bingo«, sagte Chase.
»Es gibt kein Profil von Tony Graffam, aber hier ist sein Steuerbescheid. Eine Liste mit Kontonummern und Wertpapierdepots.« Sie nickte. »Wir haben einen richtigen Volltreffer gelandet.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Miss St. John. Sie schauten sie beide an.
»Wenn diese Unterlage so wichtig ist, warum hat der Einbrecher sie hier gelassen?«
Schweigend dachten sie darüber nach.
»Vielleicht war unser Einbrecher nicht an Stone Coast Trust interessiert«, mutmaßte Miss St. John. »Ich meine, sehen Sie sich doch nur die scheußlichen Informationen an, die Richard zusammengetragen hat. Schnüfflerberichte über Trunkenheit am Steuer. Krankenversicherungsbetrug. Syphilis. Ausgerechnet George LaPierre! Und dann auch noch in dem Alter. Diese Unterlagen könnten den feinen Ruf einiger Menschen ruinieren. Jetzt frage ich Sie, ist das nicht ein Motiv für einen Einbruch?«
Oder Mord, dachte Miranda. Aber warum hatte Richard diese Informationen überhaupt
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