Gefährliche Begierde
und starrte aufs Meer hinaus. Sie empfand Mitleid für die Frau, die diese Sätze geschrieben hatte wegen des Schmerzes, den sie erlitten hatte. Das ist der Preis, den wir beide bezahlten, weil wir den falschen Mann geliebt haben.
»Miranda?« fragte Chase, »Ist irgendetwas?«
»Nein.« Sie räusperte sich und wandte sich dann nach ihm um. »Es geht mir gut. Also … wo soll ich mit der Suche beginnen?«
»Du könntest mir helfen, dieses Regal auszuräumen. Ich finde überall haufenweise Zettel und es dauert länger, als ich erwartet hatte.«
»Ja, natürlich.« Sie ging zum Regal hinüber, nahm ein Buch heraus und setzte sich auf den Boden neben ihn. Nicht zu nah und nicht zu weit entfernt. Nicht Freund, nicht Feind, dachte sie. Nur zwei Menschen, die sich denselben Teppich teilen, denselben Zweck. Dafür müssen wir uns nicht einmal mögen.
Eine Stunde lang durchblätterten sie die Seiten der Bücher und wischten den Staub von ihnen ab. Wie es schien, waren die meisten der Bücher seit Jahren nicht mehr in die Hand genommen worden. Es gab Postkarten von vor zwanzig Jahren, die an Chase Mutter adressiert waren. Und es gab eine handgeschriebene Liste über Vogelarten, die in Rose Hill gesichtet worden waren und eine zwölf Jahre alte Mahnung der Bücherei, die immer noch in dem zur Abgabe fälligen Buch steckte. Über die Jahre waren so viele kleine Dinge der Familien Tremain und Pruitt in diesen Regalen gelandet. Es brauchte Zeit, die wichtigen von den unwichtigen Dingen zu trennen.
Ein übergroßer Atlas des Bundesstaates Maine enthielt die nächste Spur. Chase nahm ihn aus dem Regal und betrachtete das Cover. Dann wandte er sich um. »Miss St. John? Haben Sie je von einem Ort namens Tannenhöhe gehört?«
»Nein, warum?«
»Hier ist eine Karte davon daran befestigt.« Chase zog das Dokument aus dem Atlas und breitete es auf dem Teppich aus. Es war eine Sammlung von sechs fotokopierten Seiten, die zusammengeklebt eine Straßenkarte ergaben. Die Seiten sahen ziemlich neu aus. Die Eigentumsgrenzen waren eingezeichnet und die Parzellen nummeriert worden. Oben am Kopf der Karte war der Name des Bauprojektes vermerkt: Tannenhöhe. »Ich frage mich, ob Richard daran dachte, in Immobilien zu investieren.«
Miss St. John ging in die Hocke, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. »Warten Sie. Das kommt mir bekannt vor. Ist das nicht unsere Zufahrtsstraße? Und diese Parzelle am Ende, Nummer eins. Das ist Rose Hill. Ich erkenne die kleine Spitze oben auf dem Berg.«
Chase nickte. »Sie haben Recht. So ist es. Da ist St. John’s Wood und die Steinmauer.«
»Das ist die Karte von Stone Coast Trust«, sagte Miranda. »Seht ihr? Die meisten der Parzellen sind als verkauft markiert.«
»Gütiger Himmel«, stöhnte Miss St. John. »Ich hatte keine Ahnung, dass so viele dieser Grundstücke den Besitzer gewechselt haben. Es sind nur vier von uns, die nicht an Tony Graffam verkauft haben.«
»Was hat er für St. John’s Wood angeboten?« fragte Miranda.
»Es war derzeit ein guter Preis. Als ich ablehnte zu verkaufen, ging er sogar noch höher. Das war vor einem Jahr. Ich konnte nicht verstehen, weshalb das Angebot so generös ausfiel. Seht ihr, hier war alles Naturschutzgebiet. Diese alten Häuser stehen schon seit Großvaters Zeiten. Sie waren noch vor den Tagen der Landkommissionen gebaut worden. Die Cottages durften stehen bleiben, aber es war nicht erlaubt, sie auszubauen. Vom kaufmännischen Standpunkt aus war dieses Land wertlos. Und dann wurden die Nutzungspläne plötzlich verändert und zu Baugelände umdefiniert. Nun sitze ich auf einer Goldmine.« Sie betrachtete die anderen unverkauften Parzellen auf der Karte. »Und so geht es auch dem alten Sulaway und den Hippies im Frenchman’s Cottage.«
»Und Tony Graffam«, sagte Miranda.
»Aber was, wenn die Parzellierungen nur ein Bluff sind?« sagte Chase. »Was, wenn es Bestechungen gab? Falls das an die Öffentlichkeit gedrungen wäre …«
»Ich vermute, dass es dann einen Riesenprotest gegeben hätte und dass die Nutzungsumwandlungspläne rückgängig gemacht worden wären«, sagte Miss St. John. »Und Mr. Graffam wäre der stolze Besitzer einer Menge wertloser Grundstücke.«
»Aber sie sind momentan wertlos für ihn, Miss St. John«, gab Miranda, die die Karte ausgiebig studierte, zu Bedenken. »Graffam braucht die Zufahrtsstraße, um zu den Parzellen zu gelangen. Und Sie sagten, die Straße gehört – gehört Richard?«
»Ja, wir kommen immer
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