Gefaehrliche Begierde
einziger Gedanke der, eine Frau zu lieben, die die Braut seines Bruders werden sollte. Er ging zum Fenster und sog die kalte, frische Luft ein. Als er wieder klar denken konnte, hoben sich seine Mundwinkel zu einem sehnsüchtigen Lächeln. »Gott sei Dank war es nur ein Traum, du Lüstling«, flüsterte er spöttisch.
In der folgenden Woche fand Nick Hatton seine Vermutungen bestätigt. Beileidsbezeugungen für Christopher, den neuen Lord Hatton, trafen von allen Seiten ein, während Nicholas kaum eine Karte erhielt. Er war erleichtert, dass die Beileidsbezeugungen, mit denen sein Bruder überschüttet wurde, dessen Laune verbesserten und ihm dabei halfen, sich zusammenzunehmen und die Rolle des leidtragenden, aber pflichtschuldigen Sohnes zu spielen. Obwohl Nick wusste, dass sein Bruder innerlich davor zurückschreckte, stimmte Kit zu, zusammen mit seinem Zwillingsbruder, dem Cousin seines Vaters, John Eaton, und Eatons Sohn Jeremy den Sarg zu tragen.
Die Beerdigung, der die reichen Familien der umliegenden Gebiete beiwohnten, gab der gehobenen Gesellschaft die Möglichkeit, Henry Hatton die letzte Ehre zu erweisen und sich bei dem neuen Baron einzuschmeicheln. Gleichzeitig konnten sie bei diesem Anlass ihre Neugier über den jüngeren Zwillingsbruder befriedigen, der am Tag vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag seinen Vater erschossen hatte. Bei einem Unfall, natürlich.
Der Juli ging in den August über, als der Anwalt des verstorbenen Henry Hatton von London nach Hatton Hall reiste, um das Testament zu verlesen. Mr. Burke führte Tobias Jacobs in die Bibliothek, wo kurz darauf auch die Hatton-Zwillinge erschienen.
Der Anwalt stellte sich vor und versuchte, sein Erstaunen darüber zu verbergen, dass die beiden Männer sich sehr ähnelten. Während er sich noch fragte, welcher der Zwillinge wohl der Erbe sein mochte, deutete er auf die schwere, ledergebundene Akte und fragte: »Darf ich mir die Freiheit erlauben, den Schreibtisch Ihres Vaters zu benutzen?«
»Meinen Schreibtisch«, korrigierte ihn Christopher. Er deutete lässig auf den Schreibtisch aus Mahagoni. »Bitte, bedienen Sie sich.«
Jacobs räusperte sich. »Danke, Lord Hatton.«
Die Zwillinge setzten sich und warteten geduldig, während eisernes Schweigen den Raum erfüllte. Jacobs schob seine Papiere hin und her und räusperte sich ein paarmal, ehe er die Stimme wiederfand.
»Lord Hattons letzter Wille unterscheidet sich in vielen Dingen von der Norm. Ich werde Ihnen alles erklären. Für einen Mann seines Reichtums und seiner Stellung ist es üblich, dass er diejenigen bedenkt, die ihm ein Leben lang gedient haben. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass er dies übersehen hatte, versicherte mir Ihr Vater, dass dies nicht der Fall sei. Er bestand darauf, der Dienerschaft einen angemessenen Lohn zukommen zu lassen, und ich konnte ihn nicht davon überzeugen, für Sie zusätzlich noch eine bestimmte Summe vorzusehen.« Jacobs räusperte sich erneut und blickte über seine Brille zu Christopher Hatton. »Sie können das natürlich auch nachträglich noch richtig stellen.«
Der Anwalt griff nach einem weiteren Schriftstück und las vor:
»An meinen geliebten Sohn und Erben, Christopher Flynn Hatton, gebe ich meinen Titel als Baron weiter. Christopher vererbe ich auch das Herrenhaus und den großen Park von Hatton, mit allen Besitztümern und dem Land.« Jacobs holte tief Luft, ehe er weitersprach. »An Christopher übergebe ich auch alle meine Finanzen, die ich in der Barclays Bank hinterlegt habe und alle Investitionen, die in meinem Namen von John Eaton, meinem Finanzberater und einzigen Treuhänder dieses Testaments getätigt worden sind.«
Jacobs räusperte sich noch einmal, während er nach einem weiteren Blatt Pergament griff. Seine Hand zitterte ein wenig, und das Papier raschelte.
»Christopher vererbe ich auch die Pferdezucht von Hatton Grange, seinen Viehbestand und alle dazugehörigen Ländereien.«
»Sie irren sich, Jacobs«, unterbrach ihn Christopher. »Ich glaube, mein Vater hat Hatton Grange meinem Bruder hinterlassen.«
Nick saß wie erstarrt da, eine kalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Ehe Jacobs den Mund aufmachte, wusste er bereits, was der Anwalt sagen würde.
»Nein, Lord Hatton, das ist kein Fehler. Ihr Vater hat Hatton Grange Ihnen hinterlassen, seinem Erben.« Tobias Jacobs ließ das Pergament fallen und hob entschuldigend beide Hände. »Es ist üblich, dass, wenn der ältere Sohn den gesamten
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