Gefährliche Enthüllung (German Edition)
um Gussfiguren handelte. Sie sahen sehr alt aus.
Annies Puls beschleunigte sich, während sie die Figuren einer ersten Prüfung unterzog. Sie konnten echt sein. Oh, sie liebte es, wenn Kunstgegenstände echt waren. Sie genoss es, das glatte Metall in Händen zu halten und dabei zu wissen, dass schon andere vor ihr die Stücke genauso in Händen gehalten hatten. Vor Hunderten, ja vor Tausenden von Jahren. Sie versuchte sich jedes Mal die Menschen vorzustellen, die das flüssige Metall in die Form gegossen hatten. Menschen, die seit Jahrhunderten tot und begraben waren.
Annie legte die Figuren zurück in die Kiste und seufzte zufrieden. Dann schaute sie aus dem Autofenster. Für einen Samstagnachmittag herrschte ziemlich dichter Verkehr auf der Route 684. Pete fuhr permanent auf der linken Spur, und zwar deutlich schneller als erlaubt. Trotzdem schloss auf der Mittelspur eine schäbige graue Limousine zu ihnen auf. Annie warf einen Blick hinüber zum Fahrer des Wagens.
Er hatte dichtes buschiges braunes Haar, das so aussah,als hätte es seit über zehn Jahren keinen Kamm mehr gesehen. Ein struppiger Vollbart bedeckte fast die gesamte untere Gesichtshälfte.
Annie wandte den Blick ab. Sie wollte nicht dabei ertappt werden, wie sie den Mann anstarrte. Die Limousine überholte nicht, fiel aber auch nicht zurück. Stattdessen blieb sie auf gleicher Höhe mit ihnen.
Annie schaute erneut hinüber, und diesmal erwiderte der Fahrer ihren Blick und lächelte.
Vor Schreck fiel ihr die Kinnlade herab. Die Zähne des Mannes waren alle spitz gefeilt. Und seine Augen! Sie leuchteten in einem unheimlichen Gelbgrün.
Wie die Augen eines Tieres. Einer Katze vielleicht … oder eines Wolfs.
Mit schreckgeweiteten Augen und heftigem Widerwillen beobachtete Annie, wie der Mann ihr die Zunge in einer obszönen Geste herausstreckte. Dann hob er eine grellorangefarbene Wasserpistole ans Fenster, und sie sah, dass auf seinen Handrücken die gleichen dichten braunen Haare sprossen – es sah aus wie Fell! – wie auf seinem Kopf. Er zog den Abzug durch.
Eine rote Flüssigkeit besprühte das Innere seines Autofensters und blieb an der Glasscheibe kleben, dickflüssig und hellrot wie frisches Blut.
„Oh Gott!“, schrie Annie auf, zuckte zurück und prallte dabei gegen Petes Schulter. „Haben Sie das gesehen?“
„Was?“
„Den Wagen!“ Aber die graue Limousine fiel bereits zurück und schwenkte in die rechte Spur ein. „Den Typ in dem Auto! Er hatte eine Waffe …“
Im selben Moment wurde sie gepackt und hart nach unten gedrückt. Ihr Gesicht landete auf Petes Schoß, und derSchalthebel bohrte sich in ihre Rippen. „Welcher Wagen?“, rief Pete.
„Der graue“, antwortete Annie. Ihre Wange lag auf dem abgewetzten Stoff seiner Jeans. Sie versuchte sich aufzusetzen, aber er hielt sie eisern fest.
Taylor fluchte. „Ich kann ihn nicht sehen. Sind Sie sicher, dass er grau war?“
Seine Oberschenkelmuskeln bewegten sich und spannten sich an, während er fuhr. Plötzlich fiel Annie auf, wie gut er roch. Nach frischer Luft und Leder, ein leiser Hauch von Rauch von einem offenen Feuer und ein warmer, würziger Duft, den sie bereits als seinen eigenen erkannte. Es war einfach nicht fair. Ein Mann, der so gut aussah wie Taylor, sollte nicht auch noch so gut riechen dürfen.
„Grau, viertürig, Mittelklassewagen. Ich glaube, es könnte ein Volvo gewesen sein.“ Sie verrenkte sich den Hals, um Pete anzusehen. Seine Augen waren schmal und verrieten, wie sehr er sich konzentrierte, seine Lippen noch fester aufeinandergepresst als sonst. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. „Taylor, lassen Sie mich los!“
„Hören Sie auf, gegen mich anzukämpfen“, fauchte er.
Wieder bewegten sich die Muskeln in seinen Beinen, und Annie spürte, wie der Wagen langsamer wurde. Dann griff Pete nach dem Schalthebel, schaltete in einen niedrigeren Gang und fuhr vom Highway ab.
Sie richtete sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah ihn an. Er bog auf den Parkplatz eines Supermarkts ein und stellte den Wagen ab, bevor er sich zu ihr umdrehte.
„Alles in Ordnung?“
Sie nickte. Seine Augen verrieten ihr, dass er sich wirklich Sorgen um sie machte. Pete nahm seinen Job ernst, so viel stand fest.
„Konnten Sie ihn gut sehen?“, fragte er.
Annie nickte erneut. „Oh ja, das konnte ich. Er ist zwischen fünfundzwanzig und sechzig Jahre alt. Braunes verfilztes Haar, Vollbart, buschige Augenbrauen, die über der Nase
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