Gefährliche Flucht - zärtliche Eroberung
verlaufen. Erst im Laden des Schuhmachers hatte sie mitbekommen, dass man tatsächlich über sie redete.
„Hat das Mädchen sozusagen vor den Augen der Mutter entführt.“ Madeline war erstarrt, als sie die weibliche Stimme ein paar Schritte hinter sich vernahm.
„Und zur Heirat gezwungen“, hatte eine andere Frauenstimme erwidert. „Verwerflicher als der Leibhaftige persönlich, dieser Schurke. Weiß man eigentlich schon, wer sie ist?“
„Aber ja doch“, war das Getuschel weitergegangen. „Diese unauffällige ältere Miss Langley, nicht mal ihre hübsche Schwester. Keine ernsthaft vorzeigbaren Leute, die Langleys, wenn Sie mich fragen. Wohnen in der Climington Street.“
Die beiden Frauen waren abrupt verstummt, als der Schuhmacher und sein Lehrling, jeder mit mehreren Paar Schuhen, aus dem Lager kamen und sich vor Madeline verbeugten. „Die Stiefeletten und Slipper, die wir für Sie anfertigen, Mylady, werden selbstverständlich passen wie angegossen. Aber einstweilen müssen Sie sich mit einer Auswahl aus unserem Lager begnügen.“
Es war drei Uhr nachmittags, und Cyril Farquharson lag noch immer im Bett. Nicht dass er schlief – er hatte kein Auge zugetan, seit er aus Tregellas’ Stadthaus zurückgekehrt war, dafür hatte allein sein unbändiger Zorn gesorgt. Inzwischen kochte er nicht mehr vor Wut und konnte wieder klar denken – und nicht nur daran, Tregellas’ Kopf unter seinen Stiefelabsätzen zu zermalmen. Sein Widersacher hatte ihn ausgetrickst; ihm das Mädchen förmlich vor der Nase weggeschnappt, und nun lag sein ganzer großartiger Plan in Trümmern. Nicht er, Cyril Farquharson, sondern Lucien, Earl of Tregellas, besaß das Recht, sich Madeline Langleys zarten, unschuldigen Leib gefügig zu machen.
Sein ursprüngliches Ansinnen, Tregellas zu fordern, hatte Farquharson rasch verworfen. Der Earl war ein zu guter Schütze, und in einer Kampfsituation Mann-zu-Mann würde er immer der Sieger sein. Genau wie in jenem Duell vor fünf Jahren, von dem die Narbe an seinem Bein noch heute zeugte. Aber dass Tregellas eine Schlacht für sich entschieden hat, bedeutet gar nichts, dachte der Baron und grinste verschlagen. Den Krieg würde er gewinnen, und zwar mit seinen Mitteln. Die Menschen waren dumm, ängstlich und gierig. Man konnte sie täuschen, einschüchtern und kaufen.
Die Reise zu Lord Tregellas’ Landsitz in Cornwall war langwierig und anstrengend. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass seine hochmoderne Kutsche mit einer Federung ausgestattet war, die eine zügige Reisegeschwindigkeit und zugleich größten Fahrkomfort garantierte, oder dass Lucien persönlich für eine reichliche Anzahl warmer Decken und heißer Steine gesorgt hatte. Madeline taten sämtliche Knochen weh, eine tief sitzende Müdigkeit machte ihr zu schaffen, die die wenigen Stunden Schlaf in den letzten Nächten nicht hatten vertreiben können.
Albträume quälten sie, in denen Cyril Farquharson sie ein ums andere Mal anzüglich anstarrte und ihr zuflüsterte, dass er sie holen käme. Und dass es kein Entkommen für sie gäbe. Jedes Mal wachte sie schweißgebadet und mit wild klopfendem Herzen auf und traute sich nicht, die Augen wieder zu schließen, aus Angst, der Baron könne seine grauenhaften Drohungen in die Tat umsetzen.
Lucien saß ihr gegenüber und schlief. Das sonnige Tageslicht, das durch die Kutschenfenster hereinfiel, ließ seine attraktiven kantigen Züge weicher wirken, und mit den lässig ausgestreckten langen Beinen sah er aus, als habe er es sich in einem komfortablen Sessel bequem gemacht. Seine Lippen waren leicht geöffnet, er atmete leise und regelmäßig. Wie es sich wohl anfühlen mochte, diesen schönen, sinnlichen Mund zu küssen? Als Madeline sich bei dem gänzlich unziemlichen Gedanken ertappte, schluckte sie trocken und versuchte, sich auf die Landschaft zu konzentrieren, die draußen an ihr vorüberflog. Das eintönige Graubraun der winterlichen Äcker und Wälder lenkte ihren Blick nur allzu schnell wieder zurück zu dem Mann, der ihr gegenübersaß.
Seine kühn geschwungenen dunklen Augenbrauen und sein schwarzes Haar bildeten einen bemerkenswerten Kontrast zu seiner blassen Haut. Der Schlaf nahm seinen Zügen die Strenge, die ihnen sonst eigen war, und verlieh ihnen stattdessen eine ruhige, friedvolle Abgeklärtheit. All die feinen Linien der Anspannung um seinen Mund waren verschwunden. Je genauer Madeline ihn betrachtete, desto weniger war sie in der Lage, ihren Blick
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