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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Asprion
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meldet, wenn etwas unklar und zu besprechen ist. Er ist bereit, sich einem Therapeuten anzuvertrauen, der ihm nicht von der Justiz vorgegeben ist, und nutzt diesen vertrauensgeschützten Rahmen. 35 Jahre lang schien das nicht möglich. Seit beinahe einem Jahr legt er regelmäßig die Nachweise über die wahrgenommenen Therapiestunden vor und hat seinem Therapeuten Gutachten und Urteile zur Verfügung gestellt. Er ist mit mir als seinem Bewährungshelfer zu Gesprächen über sensible Themen bereit: Wo sind Risikofaktoren im alltäglichen Leben, wie sieht es mit Kontaktaufnahmen zu Frauen aus, wie ist Leben ohne Alkohol möglich? Bei seiner Vorgeschichte sind das mehr als heikle Themen, die wir miteinander bearbeiten können. Und er akzeptiert weitere Hilfsangebote zur Unterstützung; er nimmt den persönlichen Kontakt zu seiner Betreuerin wieder auf, stellt sich deren Fragen und besucht zumindest probeweise Gruppenabende der Anonymen Alkoholiker.
    Seine Veränderungen sind äußerlich sichtbar. Er schneidet sich aus eigener Veranlassung die Haare; für ihn ein symbolischer Akt, den er mit den Worten „die alten Zöpfe müssen weg, ich bin heute ein anderer“ umschreibt. Und er wundert sich nach einem Jahr, dass die Menschen nicht erkennen, wer ereinmal war. In der medizinischen oder psychotherapeutischen Sprache würde man sein Verhalten im Kontakt mit allen seinen Helfern als von hoher Compliance geprägt beschreiben.
    Dazu zeigt er seine „Alltagstauglichkeit“ in vielen Details. Auch wenn er sich am Anfang noch manches zeigen lässt („Wie geht das mit dem Bankautomat?“), zeigt er eine hohe Aufnahmefähigkeit und Alltagsorientierung. Er kann mit seinem Geld umgehen und weiß, dass ihm in diesem Monat gerade noch 23 Euro fehlen. Wer im Bereich der Haftentlassenenhilfe tätig ist, kennt die Schwierigkeiten vieler Haftentlassener nach langen Inhaftierungszeiten im Umgang mit Geld.
    Auch die kleinen Nebensächlichkeiten des Lebens beherrscht er: Man bringt etwas mit, wenn man eingeladen ist. Wenn ein Termin nicht passen sollte, kann man das sagen und einen anderen vereinbaren …
    Auch Ludwig Roser zeigt sich nicht als Monster. Er hat einen anderen Weg gewählt. Für ihn war Schuldeinsicht keine Frage. Er bekennt sich als schuldig, sah vielleicht sogar seine Festnahme als eine Art Befreiung an. Endlich war es vorbei, sagt er. Er will sich das Leben nehmen, was misslingt. Man hält ihm die frühere Therapieeinweisung vor. Das hätte doch helfen müssen, er war doch in der Psychiatrischen Klinik. Dass er dort aber keine entsprechende Behandlung erhalten hat, stellt ein späterer Gutachter fest. Das nützt ihm nichts mehr, da ist er schon längst in der Sicherungsverwahrung.
    Verantwortungsübernahme und Schuldeinsicht bedeuten für ihn allerdings nicht, dass er sich als rechtloses Objekt Justiz und Therapeuten ausgeliefert sieht. Er will Perspektiven für sich entwickeln, manchmal auch andere, als die Therapeuten für ihn sehen. Es geht um
sein
Leben und dessen Gestaltung. Er lernt, bildet sich, und das nicht nur schulisch. Er entwickelt sich zum Experten seiner Situation. Damit eckt er an. Das muss er mehrfach bitterlich erfahren. Manchmal bekommt er nach einem langen Gang durch die Instanzen Recht. Beispielsweiserügt das Oberlandesgericht Karlsruhe im August 2009 die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Freiburg und den von dieser zugezogenen Gutachter. Das Oberlandesgericht hat akribisch die vorgebrachte Beschwerde von Ludwig Roser überprüft und kommt zum Schluss, dass eine gesetzlich vorgesehene Überprüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ohne rechtfertigende Gründe drei Jahre zu spät erfolgte. Oder dass ein Gutachter ausschließlich nach Aktenlage ein schriftliches Gutachten erstellte, das sogar von Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt in seiner Qualität angezweifelt wurde, und dass dieser Gutachter nicht mündlich angehört wurde, obwohl dies vorgeschrieben ist. Praktische Folgen hatten für Ludwig Roser solche „Erfolge“ nicht. Man mag sich vorstellen, wie es in einem Menschen aussieht, der wegen seiner Taten verurteilt ist, sein Urteil annimmt und die Strafe verbüßt, dann feststellen muss, dass diejenigen, die für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung der angeordneten Strafe und Maßregel verantwortlich sind, mit einer derartigen Nachlässigkeit agieren.
    Nach dieser Verfahrenslage durfte ich im September 2010 bei der Entlassung einen im Innersten verbitterten Menschen

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