Gefährliche Freiheit
nur!«
Eli starrte hinaus und sah die Kette der Scheinwerfer. Sie waren ein ganzes Stück näher gekommen und Luke konnte nun schemenhafte Umrisse erkennen; er sah, welche Fahrzeuge PKWs und welche Lastwagen waren. Er meinte sogar das Wappen der Bevölkerungspolizei auf den Wagentüren erkennen zu können.
»Komm!«, drängte er und zog Eli am Arm.
»Nein«, sagte Eli.
Er entwand sich Lukes Griff.
»Bist du verrückt?«, sagte Luke und wirbelte herum. »Weißt du nicht, was passiert, wenn sie hier ankommen? Ihr – ihr habt euch der Bevölkerungspolizei widersetzt! Ihr habt euch vor aller Augen verweigert! Das lassen sie niemandem durchgehen. Verstehst du denn nicht? Sie werden sich rächen!«
Langsam wandte sich Eli zu ihm um, das Gesicht immer noch halb im Schatten.
»Sie können uns nichts antun, was wir nicht verdient hätten«, sagte er. »Du läufst fort – und rettest dich. Der Rest von uns wird hier bleiben.«
»Das ergibt doch keinen Sinn!«, schrie Luke.
Ein leidvoller Ausdruck trat in Elis Gesicht.
»Ich habe dir noch nicht alles über unser Dorf erzählt«, sagte er. »Weil ich mich geschämt habe. Du hast nach illegalen dritten Kindern gefragt. … Wir hatten eins in unserem Dorf. Alle wussten es. Und wir … wir haben ihn angezeigt. Ihn und seine ganze Familie. Wir haben die Bevölkerungspolizei informiert. Und als sie uns dafür belohnten, haben wir noch mehr Leute angezeigt. Unschuldige, die nichts anderes getan hatten, als in unserer Nähe zu leben, als wir Hunger litten. Wir haben behauptet, sie wären Rebellen und würden gegen die Regierung konspirieren. Wir waren wie kleine Kinder, die jemanden verpetzen. Wir empfanden solche … Schadenfreude. Nur dass die Leute, die wir verpetzten, starben …« Eli hatte den Kopf gesenkt und flüsterte nur noch.
»Aber – aber – ihr habt mich gerettet«, sagte Luke.
»Eine gute Tat unter vielen Sünden«, sagte Eli und hob traurig die Achseln. »Verstehst du jetzt, warum wir froh darüber wären, unsere Schuld loszuwerden?«
Luke rückte von ihm ab. Er schüttelte unaufhörlich den Kopf und wollte protestieren: Nein, nein, ihr seid gute Menschen, ihr wart freundlich zu mir, ihr könnt niemanden in den Tod geschickt haben … Aber Eli sah bereits wieder zu den Lichtern hinaus.
»Du solltest jetzt gehen«, sagte er. »Du hast an unserer Schuld keinen Anteil. Hier, nimm eine Decke mit. Und unser Brot – wir werden es nicht mehr brauchen.«
Eli durchsuchte die Schränke und stopfte Essen in einen Beutel. Diesen drückte er Luke an die Brust und legte ihm eine Decke um die Schultern.
»Wenn du den Pfad hinaufläufst, kann dir kein Wagen folgen«, sagte er und deutete um die Ecke des Hauses. »Sie müssen dich zu Fuß verfolgen und du hast einen ordentlichen Vorsprung.«
Eli schob ihn aus der Tür und Luke begann zu rennen, dass ihm der Brotbeutel gegen die Beine schlug. Alle paar Meter musste er stehen bleiben und sich die Decke neu umhängen, damit sie nicht auf dem Boden schleifte. Als er den Wald erreichte, verfing sie sich in den Ästen und abgerissenen Zweigen.
Wahrscheinlich hinterlasse ich eine Riesenspur, dachte Luke bitter. Ich sollte sie einfach wegwerfen und davonrennen.
Doch auch das würde ihn verraten, fürchtete er. Er hielt den Quilt mit der Hand am Hals zusammen und hatte mit einem Mal das Gefühl, dass es falsch wäre, Elis Geschenk zurückzulassen. Er dachte daran, wie zärtlich Eli den Quilt angefasst und dabei traurig gemurmelt hatte: »Den hier hat Aileen gemacht …«
Und er dachte an die Worte: »Wir haben die Bevölkerungspolizei informiert … Wir waren wie kleine Kinder, die jemanden verpetzen …«
Luke war immer noch nahe genug am Dorf, um zu hören, wie die Autos und Lastwagen mit dröhnenden Motoren ankamen und einer nach dem anderen verstummte. Er zog sich den Quilt über den Kopf, weil er die Schreie und Rufe nicht hören wollte. Aber selbst durch die Decke konnte er hören, wie hinter ihm jemand rief: »Warte! Bleib stehen!«
Luke bog vom Pfad ab und rannte noch schneller.
17. Kapitel
Obwohl ihm das Mondlicht den Weg wies, war es eine albtraumhafte Flucht. In einem Teil des Waldes standen die Bäume so dicht beieinander, dass Luke sie nicht von ihren Schatten unterscheiden konnte. Er hetzte um Baumstämme, die gar nicht da waren, und stieß mit dem Kopf gegen nur allzu reale Äste, die er lediglich für Schatten gehalten hatte. Als er über eine Wurzel stolperte und der Länge nach hinfiel,
Weitere Kostenlose Bücher